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Blind

Blind

Titel: Blind
Autoren: Joe Hill
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richtig hin, sondern starrte nur noch auf die Tür. Er fragte sich, wie er reagieren würde, wenn sie jetzt aufginge.
    Der Wettermann sagte: »… kalt und trocken, da die warme Luft in südlicher Richtung abzieht. Die Toten ziehen die Lebenden nach unten. Nach unten in die Kälte. Nach unten in die Tiefe. Du wirst ster…«
    Jude drückte mit dem Daumen auf den Netzschalter, und die Anlage verstummte genau in dem Augenblick, als ihm bewusst wurde, was er da gerade gehört hatte. Er zuckte erschrocken zusammen und drückte wieder auf den Netzschalter, um zu hören, was zum Henker das gewesen war, worüber dieser Wettermann gesprochen hatte.
    Nur dass der Wettermann schon fertig war und der DJ das Mikro wieder übernommen hatte. »… wir uns garantiert den Arsch abfrieren, während Kurt Cobain es da unten in seiner Hölle mollig warm hat. Alles klar?«
    Eine Gitarre heulte auf, ein schrilles, zitterndes Geräusch, das immer so weiter ging ohne erkennbare Melodie oder Ziel, außer vielleicht dem, den Hörer zum Wahnsinn zu treiben. Der Anfang von Nirvanas »I Hate Myself and I Want to Die«. Hatte der Wettermann darüber gesprochen? Er hatte etwas vom Sterben gesagt. Jude drückte abermals auf den Netzschalter, und der Raum versank wieder in Stille.
    Die aber nicht lange anhielt. Direkt hinter ihm klingelte das Telefon. Das plötzliche laute Geräusch jagteJudes Puls erneut in unselige Höhen. Er warf einen Blick auf Dannys Schreibtisch und fragte sich, wer wohl um diese Zeit noch die Büronummer anrief. Dann ging er um den Schreibtisch herum und schaute auf das Display. Es war eine 985er Nummer, die er sofort als die Vorwahl für den Osten Louisianas erkannte. Der aufscheinende Name lautete COWZYNSKI, M.
    Auch ohne abzuheben, wusste Jude, dass sich am anderen Ende der Leitung nicht M. Cowzynski befand. Es sei denn, ein medizinisches Wunder wäre geschehen. Fast hätte er gar nicht abgehoben, doch dann fiel ihm ein, dass Arlene Wade ihn vielleicht über Martins Tod informieren wollte, und dann müsste er früher oder später, ob er nun wollte oder nicht, ohnehin mit ihr sprechen.
    »Ja?«, sagte er.
    »Hallo, Justin«, sagte Arlene. Sie war eine angeheiratete Tante, die Schwägerin seiner Mutter und gleichzeitig eine staatlich geprüfte Arzthelferin, die jedoch in den vergangenen dreizehn Monaten nur einen einzigen Patienten gehabt hatte, Judes Vater. Sie war neunundsechzig, und ihre Stimme war ein scharfer, näselnder Singsang. Für sie würde er immer Justin Cowzynski bleiben.
    »Wie geht's dir, Arlene?«
    »Wie immer, kennst mich ja. Ich und der Hund, wir kommen gut miteinander klar. Außer dass er inzwischen so fett ist und die Knie ihm so wehtun, dass er kaum noch hochkommt. Aber deshalb rufe ich nicht an, es geht um deinen Vater.«
    Als ob es einen anderen Grund geben könnte, warum sie anrief. Die Leitung rauschte. Jude hatte einem bekannten Radiomenschen aus Peking ein Telefoninterview gegeben und mit Brian Johnson in Australien gesprochen, und die Verbindungen waren so klar und sauber gewesen, als hätten sie ihn vom anderen Endeder Straße angerufen. Doch aus irgendeinem Grund kamen die Anrufe aus Moore's Corner, Louisiana, immer so kratzend und schwachbrüstig herein wie ein Mittelwellensender, der für einen optimalen Empfang einen Hauch zu weit entfernt war. Stimmen aus anderen Gesprächen klinkten sich ein und aus, waren ein paar Sekunden lang schwach hörbar und dann wieder verschwunden. In Baton Rouge gab es vielleicht Hochgeschwindigkeits-Internetverbindungen, aber wenn man in den kleinen Orten in den Sümpfen nördlich des Lake Pontchartrain eine Hochgeschwindigkeitsverbindung zum Rest der Welt wollte, dann frisierte man sein Auto und haute ab.
    »Die letzten paar Monate habe ich ihn füttern müssen. Nur weiche Sachen, die er nicht kauen muss. Sternchennudeln mag er am liebsten. Pastina. Und Vanillepudding. Ich habe noch keinen Sterbenden getroffen, der auf seinem Weg nach oben keinen Pudding wollte.«
    »Komisch. Früher war er gar kein Süßer. Bist du dir auch sicher?«
    »Wer von uns beiden pflegt ihn?«
    »Du.«
    »Also, ich bin mir sicher.«
    »Alles klar.«
    »Das ist auch der Grund, warum ich anrufe. Er kriegt nichts mehr runter. Keinen Pudding, keine Nudeln oder sonst irgendwas. Er würgt alles wieder raus. Er kann nicht schlucken. Doktor Newland hat gestern nach ihm geschaut, er meint, dass dein Vater wieder einen Infarkt gehabt hat.«
    »Einen Schlaganfall?« Das war nicht wirklich eine
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