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Blind

Blind

Titel: Blind
Autoren: Joe Hill
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Knochen erst mal so weit ist, dann geht das ziemlich schnell, wenn kein Futter mehr nachkommt. Die leiden kein bisschen.«
    »Bist du dir da sicher?«
    »Warum fragst du? Enttäuscht?«
    5
    Vierzig Minuten später schlurfte er ins Badezimmer, weil er ein Fußbad nehmen wollte – seine Plattfüße, Schuhgröße fünfzig, waren ein Quell ständiger Schmerzen. Dort traf er auf Georgia, die sich über das Waschbecken beugte und an ihrem Daumen nuckelte. Sie trug ein T-Shirt und eine Pyjamahose, die mit einem schnuckeligen Muster aus winzigen roten Figuren bedruckt war, die man bei oberflächlicher Betrachtung für Herzen halten konnte. Erst wenn man ganz genau hinschaute, sah man, dass all die winzigen roten Figuren keine Herzen, sondern verschrumpelte tote Ratten waren.
    Er beugte sich zu ihr hinunter, nahm ihr den Daumen aus dem Mund und schaute ihn sich an. Auf der geschwollenen Spitze war ein weißer, weicher Punkt zu sehen. Er ließ die Hand los, drehte sich gleichgültig um, nahm ein Handtuch von dem beheizten Handtuchhalter und warf es sich über die Schulter.
    »Ich würde da was drauftun«, sagte er. »Bevor es eitert und verfault. Jobs für sichtbar verunstaltete Pole Dancer sind ziemlich rar.«
    »Du bist wirklich ein echt mitfühlendes Arschloch, weißt du das?«
    »Wenn du Mitgefühl willst, dann fick doch James Taylor.«
    Er schaute sich zu ihr um, als sie aus dem Bad stakste. Kaum hatte er es ausgesprochen, da wünschte er sich schon, dass er es wieder zurücknehmen könnte. Aber er nahm es nicht zurück. Mädchen wie Georgia, mit ihren metallgespickten Armbändern und dem lackschwarzenZombielippenstift, die wollten diese Rüpelhaftigkeit. Indem sie herausfanden, wie viel sie einstecken konnten, wollten sie sich selbst etwas beweisen. Sie wollten beweisen, wie hart sie waren. Deshalb kamen sie zu ihm, nicht trotz der Dinge, die er ihnen sagte, oder trotz der Art, wie er sie behandelte, sondern genau deswegen. Er wollte nicht, dass eine von ihnen enttäuscht wieder abzog. Und es galt unausgesprochen, dass sie früher oder später alle wieder abzogen.
    Oder wenigsten galt das für ihn. Wenn den Mädchen das nicht von Anfang an klar war, am Ende wussten sie es alle.
    6
    Einer der Hunde war im Haus.
    Jude wachte morgens um kurz nach drei auf und hörte ihn. Tapsende Schritte im Flur, ein Rascheln, leise, rastlose Bewegungen, ein gedämpfter Schlag gegen die Wand.
    Er hatte sie kurz vor Sonnenuntergang in den Zwinger gesperrt. Er erinnerte sich noch genau, eine Tatsache, über die er sich jedoch in den ersten paar Sekunden, nachdem er aufgewacht war, noch keine Gedanken machte. Irgendwie war einer von ihnen ins Haus gelangt: Das war alles.
    Jude blieb noch kurz im Bett sitzen, schlaftrunken, wie betäubt. Ein blauer Tupfer Mondlicht fiel auf Georgia, die links von ihm schlafend auf dem Bauch lag. Träumend, das Gesicht entspannt, ohne Make-up, sah sie fast mädchenhaft aus. Er empfand plötzlich ein zärtliches Gefühl für sie und war gleichzeitig seltsam peinlich berührt, dass er im selben Bett mit ihr lag.
    »Angus?«, flüsterte er. »Bon?«
    Georgia rührte sich nicht. Vom Flur war jetzt kein Geräusch mehr zu hören. Er schlüpfte aus dem Bett und war überrascht, wie feucht und kalt die Luft war. Der Tag gestern war der kühlste seit Monaten gewesen, der erste richtige Herbsttag. Und jetzt war die Luft rau und klebrig kalt, was bedeutete, dass es draußen noch kälter war. Vielleicht waren die Hunde deshalb im Haus. Vielleicht hatten sie sich unter der Mauer hindurch aus ihrem Zwinger gebuddelt und hatten es dann, weil sie unbedingt ins Warme wollten, irgendwieins Haus geschafft. Aber das ergab keinen Sinn, weil ihr Zwinger eine Pendelklappe hatte, durch die sie jederzeit in die beheizte Scheune konnten, wenn ihnen zu kalt war. Er ging auf die Tür zu, um einen Blick in den Flur zu werfen, blieb dann aber am Fenster stehen, schob den Vorhang zur Seite und schaute nach draußen.
    Die Hunde befanden sich beide in der im Freien liegenden Zwingerhälfte, die an die Außenwand der Scheune gebaut war. Angus lief auf dem mit Stroh bedeckten Boden hin und her. Die geschmeidigen seitlichen Bewegungen seines langen, schlanken Körpers wirkten nervös. Bon saß steif in einer Ecke. Sie reckte den Kopf in die Höhe und starrte mit festem Blick auf Judes Schlafzimmerfenster – auf ihn. Ihre Augen leuchteten in der Dunkelheit unnatürlich grün. Sie war zu still, zu ungerührt, nicht wie ein wirklicher Hund,
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