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Blind

Blind

Titel: Blind
Autoren: Joe Hill
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sondern wie die Statue eines Hundes.
    Es war ein Schock, aus dem Fenster zu schauen und direkt in ihre starrenden Augen zu blicken – als hätte sie schon wer weiß wie lange darauf gewartet, dass er am Fenster auftauchte. Aber das war nicht so schlimm wie die Erkenntnis, dass jemand anderer im Haus herumwanderte und im Flur gegen Sachen stieß.
    Jude schaute auf die Anzeige der Alarmanlage, die neben der Tür an der Wand hing. Das Haus wurde innen und außen von Bewegungsmeldern überwacht. Um sie zu aktivieren, waren die Hunde nicht groß genug, aber ein erwachsener Mann würde sie auslösen, und die Anlage würde melden, in welchem Teil des Anwesens sich etwas bewegte.
    Auf der Anzeige leuchteten jedoch nur ein gleichmäßiger grüner Lichtpunkt und die Worte SYSTEM BEREIT. Jude fragte sich, ob der Computerchip intelligent genug war, um den Unterschied zwischen einem Hund und einem nackten Psycho zu erkennen, der mit einemMesser zwischen den Zähnen auf allen vieren durchs Haus kroch.
    Jude hatte zwar einen Revolver, aber der lag im Safe seines Aufnahmestudios. Er griff nach der Dobro-Gitarre, die an der Wand lehnte. Jude war nie der Typ gewesen, der um des Effekts willen Gitarren zertrümmerte. Bei einem frühen Versuch, ihm seine musikalischen Ambitionen auszutreiben, hatte Judes Vater seine allererste Gitarre zertrümmert. Jude hatte so etwas nie über sich gebracht, auch nicht als Showeffekt auf der Bühne, als er sich schon alle Gitarren der Welt hatte leisten können. Trotzdem war er fest entschlossen, seine Gitarre als Waffe zu benutzen, wenn er sich selbst verteidigen musste. In gewissem Sinn, dachte er, hatte er seine Instrumente schon immer als Waffen benutzt.
    Vom Flur her hörte er das Knarzen einer Holzdiele, dann noch einmal, dann ein Ächzen, als ob sich jemand hinsetzte. Sein Herz schlug schneller. Er öffnete die Tür.
    Der Flur lag leer da. Jude watete durch lange Rechtecke eisigen Lichts, das durch die Dachluken ins Haus fiel. Er blieb an jeder geschlossenen Tür stehen, lauschte kurz und warf dann einen Blick hinein. Eine über einen Stuhl geworfene Decke hielt er einen Moment lang für einen verunstalteten Zwerg, der ihn wütend anstarrte. In einem der anderen Zimmer sah er hinter der Tür eine große, hagere Gestalt. Sein Herz machte einen Riesensatz, und fast hätte er mit der Gitarre zugeschlagen, aber da erkannte er, dass es sich um einen Kleiderständer handelte. Prustend atmete er aus.
    In seinem Studio am Ende des Flurs dachte er kurz daran, den Revolver mitzunehmen, ließ es dann aber sein. Er wollte ihn nicht bei sich haben … nicht weil er sich davor fürchtete, ihn zu benutzen, sondern weil er sich nicht genug davor fürchtete. Er war so aufgeregt, dass er auf eine plötzliche Bewegung im Dunkeln abgedrückt und dann womöglich Danny Wooten oder derPutzfrau eine Kugel in den Leib gejagt hätte. Andererseits konnte er sich nicht vorstellen, warum sich einer der beiden um diese Zeit im Haus herumdrücken sollte. Er ging zurück in den Flur und dann nach unten.
    Er durchsuchte das Erdgeschoss und fand nichts als Dunkelheit und Stille vor, was ihn eigentlich hätte beruhigen sollen, aber nicht tat. Es war die falsche Art von Stille, die Stille des Schocks nach der Explosion eines Feuerwerkskörpers. Seine Trommelfelle pochten von all dem Druck der ruhigen, schrecklichen Stille.
    Er konnte sich nicht entspannen, doch als er zum unteren Ende der Treppe zurückkehrte, tat er so, als ob, eine Scharade, die er nur für sich selbst aufführte. Er lehnte die Gitarre an die Wand und atmete geräuschvoll aus.
    »Was soll eigentlich der ganze Scheiß?«, sagte er. Bis zu dieser Sekunde, der Sekunde, als er sich selbst laut reden hörte, hatte er eigentlich nicht richtig Angst gehabt. Doch das Geräusch der eigenen Stimme zerrte so an seinen Nerven, dass ihm ein kalter, kribbelnder Schauer die Unterarme hinaufkroch. Er war nie der Typ gewesen, der Selbstgespräche führte.
    Er ging die Treppe hinauf und oben weiter durch den Flur in Richtung Schlafzimmer. Da blieb sein Blick an einem alten Mann hängen, der an der Wand auf dem antiken Shaker-Stuhl dort saß. Judes Puls schlug Alarm. Er wandte den Blick ab, starrte geradeaus auf seine Schlafzimmertür und nahm den alten Mann nur noch aus den Augenwinkeln wahr. In den folgenden Sekunden glaubte Jude, dass es eine Frage von Leben und Tod war, keinen Augenkontakt mit dem alten Mann aufzunehmen, durch nichts zu verraten, dass er ihn sah. Ich sehe ihn
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