Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blind vor Wut

Blind vor Wut

Titel: Blind vor Wut
Autoren: J Thompson
Vom Netzwerk:
lebende Beweis …«
    Gefangen in der Wolke meiner manischen Depression, verlor ich das Gespür für Zeit und alles andere. Ich hörte nicht, wie Carol klopfte – falls sie denn klopfte –, ich weiß auch nicht, wie lange sie an meiner Seite saß, bevor ich sie bemerkte. Der sanfte Druck ihres Arms um mich, das beharrliche Flehen ihrer Stimme.
    »Bitte, Schätzchen. Bitte sag, dass du mir verzeihst. Es … es bricht mir das Herz, dich so zu sehen …«
    Ich schaffte es, ihr die Hand zu drücken, zu murmeln, sie sei nicht verantwortlich für meine Stimmung. Doch sie gab sich weiter die Schuld.
    »Ich hab das nicht so gemeint, Herbie. Nicht ein Wort! Diese furchtbaren Frauen, die haben mich so aufgeregt, dass … Ich schätze, ich habe es wohl getan, Schatz. Anders kann es nicht sein. Ich w-weiß gar nicht, wie … Ich erinnere mich nicht, irgendwas in den Kuchen getan oder an den Badezimmertüren herumhantiert zu haben. Aber …«
    Wieder murmelte ich, sie solle es vergessen. Aber ich konnte den Kopf nicht aus den Händen heben, konnte nicht aufblicken, und ihr Flehen wurde immer ängstlicher.
    »Was ist denn, Herbie? Sag es mir, damit ich dir helfen kann, Liebling! Bitte, Schatz, sag mir doch, was dir Sorgen macht!«
    Sie gab nicht nach. Ich musste es ihr einfach sagen – aber wie? Wie konnte ich ihr sagen, was ich selbst nicht verstand, dass ich selbst das Problem war?
    Aber ich konnte unmöglich nichts sagen. Sie brauchte irgendeine Erklärung, sonst würde sie etwas Dummes tun, zum Beispiel einen Arzt herrufen. Also sagte ich schließlich das Erste, was mir durch den Kopf ging. Aber das ist immer ein Fehler, wie Sie vielleicht wissen.
    Ich sagte, ich hätte über Papas Selbstmord gegrübelt. Ich meinte, sein Selbstmord – zwei Selbstmorde in einer Familie; meine beiden Eltern – hätte mich wohl stärker mitgenommen, als mir bewusst gewesen sei.
    »Du armer Liebling«, murmelte Carol. »Soll ich … Selbstmord? «
    Ich hatte es natürlich wie einen Selbstmord aussehen lassen. Ich hatte ihm eine ganze Flasche Digitalis verabreicht, und als ihm das stinkige Herz versagte, hatte ich die leere Flasche neben seinen Schreibtisch fallen lassen und war in mein Zimmer gegangen.
    Dem Anschein nach schlief ich bereits, als Carol durch die Tür zu seinem Arbeitszimmer schaute und ihn auf dem Boden liegen sah. Voller Angst hatte sie den Arzt gerufen, und während sie furchtsam an der Tür stand, war er in das Arbeitszimmer gegangen und hatte schließlich erklärt, Papa sei an Herzversagen gestorben. Kein Wort von Selbstmord. Als alter Freund von Papa hatte er wohl die leere Flasche eingesteckt und …
    Selbstmord!
    Der Arzt hatte nur kein Wort davon gesagt. Aber er wusste es, dieser skrupellose Mistkerl! Er wusste es ganz genau! Doch nachdem er die Flasche eingesteckt hatte, hatte er Carol gesagt, Papa sei seinem langjährigen Herzleiden erlegen. So lauteten die tragischen Neuigkeiten, die Carol mir, dem kleinen unschuldigen Kerl, der angeblich in seinem Zimmer schlief, tränenreich unterbreitet hatte.
    Und …?
    Und wie konnte ich wissen, dass Papa keines natürlichen Todes gestorben war? Offensichtlich nur auf eine Weise. Nur wenn ich den Selbstmord vorgetäuscht hatte. Nur wenn ich ihn umgebracht hatte.
    »Herbie«, sagte Carol. »Sieh mich an, Herbie!«
    »Aber natürlich«, sagte ich, hob den Kopf und sah sie an. »Hast du mich was gefragt, Carol?«
    »Ja, habe ich«, sie nickte. »Und du hast nicht geantwortet.«
    »Ach, na ja, so ist das Leben, nicht wahr?«, meinte ich. »Ich habe dem Leben schon mein ganzes Leben lang diese Frage gestellt, aber immer noch keine Antwort be kommen. Und wie lautete die Frage, falls es dir nichts ausmacht, sie noch mal zu wiederholen?«
    »Macht es nicht. Ich möchte wissen, warum du behauptest, dein Vater hätte Selbstmord begangen.«
    »Eine sehr hübsche Frage«, sagte ich. »Und dazu noch aus so einem hübschen Hals. Einem liebenswerten, bewundernswerten Hals. Was für eine Schande, falls ihm etwas Unangenehmes zustoßen sollte!«

7.
    Carol trug ihr Nachtgewand und einen locker zugebundenen Morgenrock.
    Ich legte meine Hände um ihren Hals und bewegte sie sanft nach außen, schob Morgenmantel und Nachtgewand beiseite, legte die schmalen, cremefarbenen Schultern frei. Ich strich zärtlich darüber, bewegte die Hände hin und her.
    Sie schauderte sacht. Sie befeuchtete sich die Lippen mit der Spitze ihrer winzigen rosa Zunge und fing dann zittrig zu flüstern an.
    »H-Herbie.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher