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Blind vor Wut

Blind vor Wut

Titel: Blind vor Wut
Autoren: J Thompson
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unvorsichtig werden zu lassen? Mich – und die Vorstellung war lächerlich – zu ermorden? Aber warum, wenn es finanziell nichts einbringen würde?
    Papa, der selbst ein Arschloch gewesen war, hatte eine ziemlich schlechte Meinung von der menschlichen Natur. Sein Testament hatte er so verfasst, dass weder seine Frau (Carol) noch sein Sohn versucht waren, einen Mord zu begehen. Starb einer von uns beiden, kam sein Anteil nicht dem Überlebenden zugute, sondern einem guten Zweck. Carol hatte also durch meinen Tod nichts zu gewinnen, finanziell zumindest. Und ein einfaches Rachemotiv hatte sie auch nicht – ich dagegen schon, und das trieb mich an, ihr aus Gründen der ausgleichenden Gerechtigkeit ein passendes Ableben zu bereiten.
    Also …?
    Also konnte sie nur ein Motiv haben – und das war so weit hergeholt, dass es praktisch nicht in Betracht kam. Das Motiv der Zeit; genauer gesagt, drei Jahre Zeit.
    Carol war verpflichtet, mir ein »moralisch einwandfreies« Heim zu bieten, bis ich volljährig war. Offiziell (wenn auch nicht in Wahrheit) waren es noch etwa drei Jahre, bis ich einundzwanzig wurde. Sollte ich allerdings versterben, würde sie ihr Erbe sofort antreten können. Kein Warten mehr. Kein »moralisch einwandfreies« Heim mehr. Nur die nette kleine Carol mit mehr Geld, als sie in eine Scheune stapeln konnte.
    Ich ging weiter und schüttelte inwendig den Kopf. Wenn man jung und attraktiv war, konnten einem drei Jahre lang vorkommen. Wenn man nur den leisesten Vorgeschmack auf das Leben gehabt hatte, gerade genug, um nach mehr zu gieren, dann konnte es einem wie eine Ewigkeit vorkommen. Aber Mord? Das ungeheure Risiko, alles zu verlieren? Nein, nein, das konnte ich nicht glauben. Obwohl ich, offenkundig, nicht Carol war.
    Ich konnte nicht glauben, dass sie irgendetwas anderes sein konnte, als es den Anschein hatte. Weiß war weiß. Schwarz war schwarz. Carol war Carol.
    Dennoch konnte es nicht schaden, vorsichtig zu sein. Das konnte nie schaden.
    Diesmal fehlten die Drei Furien vor dem Haus, weshalb ich ohne die übliche Verzögerung den Fahrstuhl betrat und zu unserem Stockwerk hinauffuhr. Ich stieg aus, ging den Hausflur entlang und blieb stehen, als die Tür zu unserer Wohnung geöffnet wurde.
    Zwei Personen kamen heraus, ein Hausmeister mit Werkzeugtasche und eine Putzfrau mit zwei Eimern und allerlei Reinigungsmitteln. Sie kamen den Flur entlang, grinsten, witzelten leise und schienen sich prächtig zu amüsieren. Dann sahen sie mich, den Sohn des toten Hausbesitzers, und wurden augenblicklich formell und umsichtig. Diese vorbildliche Haltung behielten sie bei, bis sie an mir vorüber waren und die Sicherheit des Fahrstuhls erreicht hatten. Als die Tür sich hinter ihnen geschlossen hatte und sie ihren Abstieg begannen, brachen sie anscheinend zusammen, und ihr schallendes Gelächter stieg den Fahrstuhlschacht in einem Ausbruch von metallgedämpftem Frohsinn empor.
    Ich musste grinsen. Offenbar war alles nach Plan verlaufen.
    Ich schloss die Wohnungstür auf und trat ein.
    In der Luft lag der Geruch von Kernseife und heißem Wasser. Auf dem Teppich zeichneten sich feuchte krumme Bahnen und große Kreise ab, Spuren der kürzlich erfolgten gründlichen Reinigung. Ich sah mich im Wohnzimmer um und nahm eine den Umständen angemessene verwirrte Haltung ein. Endlich ließ ich meinen Blick zum Sofa schweifen, von wo aus Carols Schluchzen zu mir drang.
    Sie lag auf dem Bauch und hatte ihr Gesicht unter den Armen verborgen. Ihr Kleid war ihr fast bis zu ihrem entzückenden Hinterteil hochgerutscht, ihre nackten Schenkel flogen, während sie mit den Füßen strampelte; ein wütendes Strampeln, offenbar befeuert durch Wut und Enttäuschung.
    Ich sprach sie an, und sie hob halb den Kopf. Doch bevor sie sprechen konnte, wurde sie wieder von ihren Gefühlen übermannt, und ihr Gesicht verschwand im Kissen. Sie weinte unterdrückt, bekam kaum Luft und zitterte. Sie trat heftig mit den Füßen, ihr Kleid rutschte ihr den Po hinauf, und hemmungsloses Schluchzen drang aus dem Kissen.
    Das war mehr, als ich erhofft hatte. Mehr, als die Situation verlangte. Leicht beunruhigt, trat ich ans Sofa und setzte mich neben sie. Ich zog ihr das Kleid über das Gesäß, gab ihr einen mitfühlenden Klaps darauf und redete ruhig auf sie ein.
    Was denn los sei? Was denn in Mama Carol gefahren sei, was sie so fürchterlich aufregen würde?
    Wieder ein unterdrücktes Aufstöhnen. Ein konvulsivisches Zucken ihres Körpers. Ein langer,
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