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Bleeding Violet - Niemals war Wahnsinn so verfuehrerisch

Titel: Bleeding Violet - Niemals war Wahnsinn so verfuehrerisch
Autoren: Dia Reeves
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noch da sein und ungastlich auf unsere Rückkehr warten würde, sah ich mich um.
    Hier waren die Sterne, die sich am Nachthimmel versammelt hatten, näher und heller. Die Wellen brachen sich sanft an der Küste. Der Salzgeruch war durchdringend, die Luft weicher und wärmer als in Portero, viel zu warm für meinen Mantel.
    Wyatt war vor mir durch die Tür gesprungen und hatte den protestierenden Runyon schon am Arm gepackt.
    »Lass mich zu ihr gehen!«
    »Wohin gehen?«, fragte ich und kämpfte mich auf meinen Absätzen durch den Sand.
    Wyatt zeigte auf eine winzige Hütte weiter oben am Strand, hinter der Gezeitenlinie. Die Hütte stand in einem kärglichen Hain aus schmächtigen, palmenartigen Bäumen. Die bleiche, noppige Rinde, aus der die Hütte gebaut war, stammte aus dem Hain.
    Ein goldenes Licht huschte an dem glaslosen Fenster der Hütte vorbei, als ginge drinnen jemand mit einer Kerze herum.
    »Bonnie!« Runyon versuchte weiter, zur Hütte zu gelangen, aber Wyatt hatte ihn fest im Griff und weigerte sich, ihn gehen zu lassen.
    »Wir hatten einen Deal, Arschloch«, erinnerte Wyatt ihn und schwenkte mit dem SCHLÜSSEL vor Runyons Gesicht herum.
    Mit einem ungeduldigen Stöhnen verließ Runyon Rosalees Körper. Auf seltsame Art. Durch ihre Augen. Wie Rauch waberte er raus, als brenne ein Feuer in ihrem Kopf. Nachdem sich der Rauch verzogen hatte, brach Rosalee im Sand zusammen.
    Runyon verdichtete sich wieder und sah genauso aus, wie Rosalee ihn beschrieben hatte: zweidimensional und in Sepiatönen wie eine alte Fotografie, ein pummeliger, wenig beeindruckender Mann mit Koteletten und einem altmodischen Anzug. Er raste zur Hütte und bewegte sich dabei, wie Poppa sich bewegte: Er glitt geistergleich über den Sand.
    Ich fiel auf die Knie neben Rosalee und entfernte das Papier von der schwarzen Karte, die Wyatt mir vorher gegeben hatte, aber als ich versuchte, sie unter Rosalees Sweatshirt zu kleben, schlug sie meine Hände weg.
    »Momma, du brauchst sie.«
    »Es ist egal, wo du sie hinklebst«, versuchte Wyatt zu vermitteln. »Kleb sie einfach auf ihren Arm.«
    »Aber du klebst sie mir doch immer unter meine …« Mir fiel ein, wie willkürlich er und Runyon die Karten während ihres großen Kampfes auf ihre Körper gepappt hatten, wie Wyatt die Lähmungskarte auf meine Stirn geklatscht hatte.
    Ich bemerkte den schelmischen Zug um Wyatts Mund, als ich die Karte auf Rosalees Arm presste. »Ich hab’s gewusst , du warst einfach nur frech«, brummelte ich.
    Aber Wyatt war viel zu sehr damit beschäftigt, leise vor sich hinzuzählen, um sich zu verteidigen. Nicht, dass er es gekonnt hätte. »Elf, zwölf, dreizehn.«
    Runyon, der die Hütte fast erreicht hatte, fing an zu schreien. Ich wusste nicht, was los war, bis er zurück zur Küste glitt, wo Wyatt und ich mit Rosalee warteten.
    In dem Licht, das sich durch die Tür fächerte, die zurück nach Portero führte, sah ich, wie Runyon auseinanderfiel. Er hatte keinen Wirt mehr, und der Fluch der Bürgermeisterin hielt ihn nur in Portero zusammen. Seine Arme waren bereits bis zu den Schultern verschwunden, und während ich zusah, brach immer mehr von ihm weg.
    Er kam auf dem schnellsten Weg auf Rosalee zu, konnte aber nicht nah genug an sie herankommen, auch nicht an uns, die wir uns im Sand zusammenkauerten. Nicht, solange wir die schwarzen Karten trugen.
    Runyon heulte auf, waberte in der Luft, während sich das, was sein Körper gewesen wäre, auflöste und die Luft verschleierte wie ein Minisandsturm.
    »Ich kann doch jetzt nicht scheitern!«, schrie er. »Nicht nach all den Jahren!«
    »Sieh es ein«, sagte Wyatt kalt. »Wenn Bonnie irgendwas mit dir zu tun haben wollte, wäre sie längst zu dir rausgekommen.«
    »Aber ich bin zu dir gekommen!« Während Runyon sich umdrehte und die Hütte anschrie, in der sich seine Tochter versteckte, zerfiel sogar noch mehr von seinem Körper zu Staub, bis er nur noch ein Torso mit einem Kopf war. »Es tut mir leid, dass es so lange gedauert hat, aber jetzt bin ich hier! Bonnie, bitte !«
    »Lass sie gehen«, sagte Wyatt. »Lass sie sich an dich erinnern, wie du früher warst, bevor du zu einem mordenden Vergewaltiger wurdest.«
    Als Runyon sich umwandte, um Wyatts steinernem Gesichtsausdruck zu begegnen, war er nur noch ein Kopf, der unter den Sternen schwebte, eine traurige Grinsekatze, ganz ohne Grinsen. »Sag ihr … sag ihr, dass ich …« Sein Kopf löste sich in der Brise auf, bevor er den Satz beenden
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