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Blackout

Blackout

Titel: Blackout
Autoren: Gregg Hurwitz
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mittlerweile gründlich sattgesehen hatte, vorbei am breiten Treppenhaus. Alles in diesem Haus war kalt und spitz – Steinplatten unter meinen Füßen, Marmorecken an den Arbeitsplatten, kantige Schubladengriffe. Die Atmosphäre hatte etwas Gekünsteltes, Anmaßendes. Wahrscheinlich hätte ich erleichtert oder sogar glücklich sein müssen, wieder zu Hause zu sein, aber ich fühlte mich nur zutiefst verunsichert.
    Ich ging zu meinem einzigen wirklich genutzten Möbelstück im Haus, dem Clubsessel im Wohnzimmer. Abgewetztes Leder, Zierbeschläge aus Messing, dazu passende Ottomane: beides hatte ich auf einem Flohmarkt auf einem Gehweg bei Melrose entdeckt und meinen Highlander sofort mit quietschenden Reifen zum Stehen gebracht. Jetzt stellte ich den Jack Daniel’s und den Gehirntumor zusammen auf den Wohnzimmertisch, wo sie in aller Ruhe ihre Berufsgeheimnisse austauschen konnten, ließ mich in den Sessel fallen und spürte, wie sich meine Schultern zum ersten Mal seit vier Monaten entspannten.
    Tief einatmen. Länger ausatmen, als ich für möglich gehalten hätte.
    Nichts, was ich jemals geschrieben hatte, war hiermit vergleichbar. Und ich hatte reichlich Gelegenheit gehabt, mir Dinge auszudenken. Ich hatte fünf Bücher veröffentlicht, von dreien die Filmrechte verkauft, eines war sogar schon verfilmt worden, wenngleich meine Leser es nicht wiedererkannten – jedenfalls die drei, die sich den Film angesehen hatten – und ich ehrlich gesagt auch nicht. Das Drehbuch über einen Pfarrer, der zum Kopfgeldjäger wird, trug den Namen (es ist mir peinlich, das so hinzuschreiben)
Der betende Jäger,
und die Hauptrolle wurde von einem Fernsehstar gespielt, der aus unerfindlichen Gründen für seine »Vielseitigkeit« bekannt war. Der Protagonist meiner Krimis ist Derek Chainer vom Morddezernat in L.A. (unseligerweise konvertierte er für obengenannten Flop zu Pater Chainer).
    In meinen Büchern verursacht großer Schmerz weiße Explosionen vor den Augen, und Wut lässt den Kopf pochen. Was in meinen Büchern
nicht
beschrieben wird, ist das Gefühl, den verstümmelten Körper seiner Exfreundin auf Polizeiaufnahmen zu sehen. Oder wie schwierig es ist, sich getrocknetes Blut unter den Fingernägeln herauszukratzen.
    Dabei hatte ich immer geglaubt, diese Welt zu kennen. Aber ich hatte sie nur äußerlich gekannt. Als ich zum ersten Mal im Bauch der Bestie war und mir ihre Verdauungssäfte zusetzten, ging mir auf, dass ich keinen blassen Schimmer gehabt hatte. Auf den dunklen Seiten des Lebens war ich immer nur als Tourist gewesen, der durch ein Fernglas zusieht, wie sich die Tiere gegenseitig auflauern und sich aneinander gütlich tun.
    Mein Blick glitt durch das Zimmer und blieb an der Reihe mit meinen Büchern hängen – Hardcover, Taschenbücher, ausländische Ausgaben –, und mir wurde jäh bewusst, wie sehr ich noch die geringfügige Bedeutung, die ich ihnen zugestanden hatte, überschätzt hatte. Auf einen Schlag fühlte ich mich nicht mehr gerüstet für eine Welt, in der es offensichtlich kein System für die Verteilung von Erfolg und Scheitern gab. Mein Flohmarktsessel, der sich solide und tröstlich unter mir anfühlte, schien mir auf einmal unschätzbar wertvoll. Mein auf glänzende Buchrücken geprägter Name hingegen? Eines Tages würde ich nur noch eine schwache Erinnerung sein, ich und die restliche Halbprominenz, die sich in die angestaubten Ränge der Irgendwann-beinahe-mal-berühmt-Gewesenen einreihen durfte. Jahre später würde auf einer Party bei irgendeinem Idioten, der sich verzweifelt um Konversation bemüht, eine bestimmte Ausdrucksweise eine Erinnerung wachrufen. Und dann würden auch die anderen nicken und brav lügen.
Andrew Danner. Jaaa, genau, ich erinnere mich. Wie war das noch mal?
    Und womit würde unser Idiot dann aufwarten? Mit der Handlung eines Krimis, die er aus dem Dickicht seiner Senilität gerettet hat? Mit einer Antwort, die die juristischen Komplikationen berücksichtigte? Oder würde er einfach die Boulevardpresse zitieren?
Er war ein Mörder.
    Wie immer fiel es mir schwer, mir nicht ständig mit den Fingerspitzen den Kopf abzutasten, diese Linie von sich verhärtendem Gewebe, das einzig Bekannte, was ich aus den Nebeln meiner Amnesie mitgenommen hatte. Die Narbe an der Stelle, wo sie in meinem Gehirn herumgewühlt hatten, ging direkt hinter meinem linken Ohr los, kurz hinter dem Haaransatz, und verlief dann leicht gebogen Richtung Stirn. Mittlerweile hatte ich durch das
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