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Blackout

Blackout

Titel: Blackout
Autoren: Gregg Hurwitz
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Radiowecker. Von seinen Lippen baumelte eine Zigarette, deren Asche schon seit Minuten nicht mehr abgestreift worden war. Ich konnte den Bildschirm zwar nicht erkennen, hörte aber, wie ein Reporter die neuesten Neuigkeiten über einen Bekloppten verkündete, der denselben Namen trug wie ich.
    »Knob Creek?«, fragte ich weiter. Er schüttelte den Kopf. »Maker’s?«
    Er sah kurz zu mir und zuckte zusammen. »Jack Daniel’s.«
    Ich hätte ihn darauf hinweisen können, dass Jack Daniel’s ein Tennessee Sour Mash ist und kein Bourbon, aber ich hatte das Gefühl, dass es bei meinem ersten Gefecht in der richtigen Welt lieber um etwas wirklich Wichtiges gehen sollte. Guten Wein vielleicht.
    »Den Single Barrel?«
    »Ja, wir haben den Single Barrel.«
    Ich spürte seinen Blick in meinem Rücken, als ich den Laden verließ.
    Zwei Minuten später war ich auf dem Mulholland Drive. Die Asphaltrebe schmiegt sich an die Hügelkette von Santa Monica und schiebt ihre Ranken nordwärts durch das Valley Richtung Santa Anas und südwärts ins Becken von Los Angeles. Auf dem östlichen Abschnitt halten die Touristen am Straßenrand, um ein Foto von den großen weißen Lettern zu schießen: HOLLYWOOD . Persische Paläste und Pseudo-Pueblos sitzen auf Gipfeln und an Hängen, verstecken sich hinter Toren und Steinmauern. Es ist eine gefährliche Straße, getränkt mit Wohlstand und Romantik, die Heimstatt der durchbrochenen Leitplanken, der sich dahinschlängelnden Straßen, der David-Lynch-Phantasie, des Frontalcrashs um zwei Uhr morgens. Man fährt so schnell wie möglich durch und ist froh, wenn man es hinter sich hat.
    Heute Nacht hielt ich mich an die erlaubte Höchstgeschwindigkeit, denn ich fand, dass ich vorerst genug Probleme gehabt hatte. Ich fuhr die Mulholland in westlicher Richtung und bog kurz vor der 405 nach unten ab. Meine Auffahrt sah aus wie immer, teilweise beleuchtet von Verandalampen und den Bogenlampen am Gehweg. Die Autobahn war weit genug entfernt, dass der Verkehrslärm seufzend klang. Mein Haus lag im Schatten, aber ich hielt kurz inne, um die Umrisse zu betrachten. Trotz meiner Abwesenheit sah alles unverändert aus – wie Richard Neutra in einer Billigversion, sich überschneidende Ebenen aus Stahl, Glas und Beton, die gut harmonierten, aber eben doch nicht richtig elegant wirkten. Nachdem ich den Vertrag für mein drittes Buch unterzeichnet hatte, hatte ich mir genug zusammengebettelt und -geborgt, um noch ein letztes Zipfelchen auf dem Immobilienmarkt in L.A. zu erhaschen, der von Tag zu Tag enger wurde. Ich hatte viel zu viel bezahlt, aber die atemberaubende Aussicht, die sich bot, wenn man in meinem Garten hinterm Haus stand, tröstete mich darüber hinweg. Wenn ich es mir bis vor dem Prozess nicht wirklich hatte leisten können, dann konnte ich es jetzt erst recht nicht.
    In meinem Vorgarten lagerten keine Nachrichtenteams. Keine Paparazzi in zwielichtigen Gefährten. Kein schnauzbärtiger Sensations-Fernsehjournalist in Kampfausrüstung, der gleich auf mich losgehen wollte.
    Ich fuhr in die Garage, nahm das Glas aus dem Getränkehalter am Armaturenbrett und die braune Papiertüte vom Rücksitz und ging ins Haus. Es fühlte sich seltsam an, nach so langer Abwesenheit so wenig Gepäck dabeizuhaben. Kein großes Theater, keine Koffer, nur die Kleider, die ich am Leibe trug, eine Flasche in einer Tüte und einen Gehirntumor in einem Glas mit Schraubverschluss.
    Vier Monate war ich weg gewesen, aber die Vertrautheit mit dem Ort war unvermindert. Der Riegel an der Vordertür, und das scharrende Geräusch, das die Tür beim Öffnen machte. Der besondere Duft im Haus, übereinandergelagerte Gerüche nach Teppich und Fliesen, Kaffee und Kerzenwachs. Gegenstände, die ich gekauft, Entscheidungen, die ich getroffen hatte. Die Gefühle, die in mir aufstiegen, brachen sich im selben Moment Bahn, als ich die Tür hinter mir zumachte. Sowie ich allein in meinem Haus stand, fing ich endlich an zu weinen. Mit gesenktem Kopf stand ich da, und meine Tränen tropften auf den Boden, obwohl ich mir die Hand auf die Augen gepresst hatte, im vergeblichen Bemühen, die Flut meiner Qual zurückzuhalten. Ich weiß nicht, wie lange ich zitternd dort stand, aber als ich die Hand wegnahm, musste ich blinzeln, weil mich das Flurlicht blendete.
    Ich ging in meine Küche mit den Geräten aus rostfreiem Stahl und den Teakschränken, durch den Flur mit den sich x-fach wiederholenden Warhol-Bildern, an denen sogar ich mich
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