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Blackout

Blackout

Titel: Blackout
Autoren: Gregg Hurwitz
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hielt, und sie war die Einzige von uns beiden, die die komplexen Verhältnisse durchschaute.
    In der Nacht, als wir Schluss machten, hatte sie die gesamte Skala durchlaufen. Ich war am Abend aus meinem Büro gekommen und hatte sie im Schlafzimmer gefunden, wo sie sich mit einer ganzen Packung Chunky-Monkey-Eis auf dem Schoß die Rosenzeremonie von
Der Bachelor
ansah. Sie hob die Hand mit dem Löffel in meine Richtung, zum Zeichen, dass ich sie nicht stören solle. »Jane ist eine blöde Kuh, die müssen sie nach Hause schicken.« Ihr leichter französischer Akzent vertrug sich nicht mit ihrer prosaischen Erklärung, und ich musste mir ein Grinsen verkneifen. Wenig später meinte sie mit teuflischem Kichern: »Lass uns einen Happen essen gehen. Wenn wir hierbleiben, würden wir heute Abend sowieso nur streiten oder ficken.« Im Restaurant hielt sie meine Hand und zählte mit ekstatischem Gesichtsausdruck die Gewürze einer marokkanischen Lammfleischbratwurst auf. Wieder zu Hause liebten wir uns, schwitzend in der warmen Luft, die zum Fenster hereinkam. In jener Nacht entglitt sie mir wieder in eine ihrer düsteren Stimmungen. Ich fand sie schluchzend in der Dusche. »Alles ist einfach so würdelos geworden. Alles ist so wahnsinnig
billig.
«
    Sie saß auf den Fliesen, während ihr das Wasser auf die Brust prasselte. Ich ging neben ihr in die Hocke und fühlte die altbekannte Hilflosigkeit, während das Wasser meine Ärmel durchweichte. »Was denn?«
    »Alles. Das Fernsehen. Nichts. Es tut mir leid. In meinem Kopf stimmt was nicht. Das ist mal wieder einer von diesen … Es tut mir leid. Es ist nicht fair. Ich sollte lieber gehen.«
    In den frühen Morgenstunden war ich aufgewacht und hatte festgestellt, dass sie meine Hand zwischen ihren verschwitzten Handflächen hielt. Mit den Schneidezähnen nagte sie an ihrer blassen Unterlippe, und ihre Augen suchten noch nach Trost in den meinen, als sie es aussprach: »Es wird einfach nicht klappen mit uns.« Ich hatte nicht mehr die Kraft, sie noch einmal umzustimmen. Sie packte ihre wenigen Habseligkeiten, die sie bei mir deponiert hatte, und hörte sich auf ihrem iPod eine Oper an, damit wir nicht noch einen Streit anfangen konnten.
    All die Überlegungen, die in den Medien über sie angestellt wurden, machten mir klar, wie schwierig es gewesen war, sie wirklich kennenzulernen. Trotz ihrer vage gehaltenen Behauptungen, einen Teil des Immobilienportfolios ihrer Familie zu managen, hatte sie eigentlich keine Arbeit ausgeübt. Sie las viel. Sie ging zu Matineen. Sie kannte gute Bäckereien. Sie hatte nicht viel vom Leben verlangt und am Ende hatte es ihr noch weniger gegeben. Ich musste an all die Erfahrungen und Erlebnisse denken, die ihr nun verwehrt bleiben würden. Die ganze Welt würde ihr nun unwiderruflich verwehrt bleiben.
    Ich wollte die letzten vier Monate abschütteln wie einen bösen Traum. Aber gewisse Tatsachen sind wie Felsbrocken. Sie versperren einem den Weg. Sie haben scharfe Kanten, an denen man sich schneidet, wenn man versucht, sie wegzurollen. Nach dem Tod meiner Mutter war ich noch wochenlang morgens mit diesen schlichten, kindlichen Gedanken aufgewacht:
Ich will, dass das nicht wahr ist. Ich will, dass das nicht passiert ist.
Es wollte mir einfach nicht in den Kopf. Der Tod meines Vaters anderthalb Jahre später war ebenso schmerzhaft, aber da hatte ich dann zumindest schon ein wenig Übung. Aber wo sollte ich Geneviève mit ihrer tiefen Einstichwunde im Bauch einordnen?
    »Ich hab es nicht getan«, sagte ich zu meinem Tumor.
    Er glotzte gleichgültig zurück.
    Ich ging nach unten, machte den Jack Daniel’s auf und sog das volle, befriedigende Aroma tief ein. Dann ging ich an die Küchenspüle und goss den rauchigen Single Barrel in den Abfluss. Die Juden opfern ein Glas Wein für den Propheten Elias, die Buddhisten opfern Obst, die Gangbanger gießen einen Drink für ihre toten Kumpels auf den Boden. Man muss den Göttern zu essen geben. Sonst fressen einen die Götter nämlich selbst.
    Nicht, dass sie einen nicht auch so fressen würden.
    Eine metallbeschlagene Espresso-Maschine machte sich auf der Arbeitsplatte so breit, als würde dort ein Labrador sitzen. Ich hatte sie für Geneviève gekauft – in dem ungefähr fünf Minuten dauernden Abschnitt unserer Beziehung, als zwischen uns alles prächtig lief. Die Maschine hatte fünfzehn Tassen schlammartigen Espresso produziert, womit wir bei einem Preis von 147 Dollar pro Tasse waren. Im Kühlschrank
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