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Blackout

Blackout

Titel: Blackout
Autoren: Gregg Hurwitz
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Abtasten jeden Millimeter der rosa Narbe auswendig gelernt, als wären in ihren Buckeln und Kanten Antworten in Brailleschrift versteckt.
    Ich schaltete den Fernseher ein, um vor mir selbst zu fliehen, aber da war ich schon wieder. Meine verstörte Reaktion, als das Urteil verkündet wurde. Auf dem Bildschirm wurden in mehreren Fenstern gleichzeitig verschiedene Interviewpartner eingeblendet, Bezirksstaatsanwälte und Aktivisten von Organisationen für Verbrechensopfer und dazu noch ein paar Möchtegern-Staranwälte. Ein Interview mit meinem Lehrer aus der siebten Klasse. Die altbekannte Aufnahme, die man aus einem Helikopter heraus von Genevièves Haus gemacht hatte. Ein geistreicher Nachrichtensprecher eines Privatsenders hatte Fotos von mir im Gerichtssaal per Photoshop zu den drei weisen Affen umgearbeitet, die nichts Böses sehen, hören und sagen.
    Als Autor hatte ich einigen Erfolg gehabt, aber wirklich berühmt geworden war ich erst als Mörder. Squeaky Fromme, Johnny Stompanato, OJ , die Menendez-Brüder. Jetzt war ich einer von ihnen. Eine Geschichte über Schicksal und Schande. Noch so eine moderne Spielart dieser alten Geschichten von den seltsamen Leuten mit den Kränzen auf dem Kopf und den knubbeligen Knien. Die dumme Pandora, die einfach ihre Büchse nicht zulassen konnte. Der Blödmann, der seinen Vater umbrachte und sich dann über seine Mutter hermachte. Habt ihr schon von dem Typen gehört, der eines Morgens aufwachte und sich nicht mehr erinnern konnte, seine Exfreundin umgebracht zu haben? Tagesgespräch bei Starbucks, Gegenstand oberflächlichen Geplappers und Pointe im Verkehrsradio.
    Ich schaltete den Fernseher aus und saß in der durchdringenden Stille.
    Was würde
ich
denn denken, wenn ich mich nicht kennen würde? Motiv. Mittel. Gelegenheit. Dagegen kommt man mit Bauchgefühl nicht an.
    Was hatte ich vor Gericht gesagt?
Ich glaube, dass jeder Mensch zu allem fähig ist.
    Aber leider war ich mein einziger unzuverlässiger Zeuge. Was ich wirklich brauchte, waren harte Fakten, die ich neben dem Sour Mash Whiskey und meinem hübschen kleinen Tumor auf den Tisch knallen konnte.
    Der Sohn meiner Nachbarn, ein bebrillter kleiner Tyrann, der aussah, als wäre er einem Fernseh-Sketch entstiegen, bearbeitete gerade mal wieder seine Trompete. Er übte
Wer bei der Arbeit pfeift,
ohne jedes Gefühl für Tempo und Tonart.
Mit FRI schem Mut sein TAG werk tut, schafft MEHR und spart VIEL
ZEIT .
    Ich stand auf und schlenderte durchs Haus, um mich wieder mit den Dingen bekanntzumachen. Auf dem wackligen Küchentisch stand neben zwei Einkaufstüten voller Post mein Forschner-Messerblock, der sich immer noch in einer versiegelten, durchsichtigen Plastiktüte der Spurensicherung befand. Mir wurde eiskalt. Ein Willkommensgeschenk von der Staatsanwaltschaft oder der Polizei, das dazu gedacht war, mich wieder zurückzuwerfen. Für den Fall, dass ich vorgehabt hätte, wieder zu meinem normalen Leben zurückzukehren. Das Set mit den Messern aus rostfreiem Stahl war eines von Genevièves passiv-aggressiven Geschenken gewesen, eine zehnfache Aufwertung meines kläglichen Billigbestecks mit den Plastikgriffen. Sie besaß haargenau denselben teuren Messerblock. Meine Messer hatten im Prozess ihren kurzen Auftritt gehabt. Sehen Sie her, meine Damen und Herren Geschworenen, er hat genau dasselbe Set wie sie, ganz neu und glänzend, und noch dazu ein Geschenk vom Opfer selbst! Die Inspiration für das Verbrechen!
    Das Filetiermesser aus Genevièves Set war ein zentrales Beweisstück gewesen. Wie man mir erzählte, hatte ich ihr dieses Messer in den Unterleib gestoßen.
    Ich nahm eine Schere aus einer Schublade und schnitt die Plastiktüte auf. Mit umständlicher Feierlichkeit stellte ich den Messerblock wieder an seinen Platz. Die Tüte knüllte ich zusammen und warf sie in den Mülleimer. Dann lehnte ich mich einen Moment gegen die Arbeitsplatte.
    Ich versuchte, mich zusammenzureißen und mich zu erinnern, was ich jetzt für mich tun musste. Das Letzte, was ich in meiner Situation gebrauchen konnte, war ein postoperativer Anfall, also zog ich meine Tabletten aus der Tasche und warf ein Antiepileptikum ein, das ich mit einer Handvoll Wasser aus der Leitung herunterspülte. Was für eine erbärmliche Heimkehr in mein Zuhause.
    In der Spüle standen ein leeres Glas und eine weiße Schüssel mit eingetrocknetem orangefarbenen Muster – schlagender Beweis für den Verzehr einer Honigmelone.
Frühstück, dreiundzwanzigster
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