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Black Jesus

Black Jesus

Titel: Black Jesus
Autoren: Simone Felice
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als ihm zum ersten Mal auffällt, dass sich vor ihm dichte Reihen von Paparazzi bilden. Nun hört er auch das Klicken ihrer Equipments, fühlt ihre Aufregung, ihre Spannung, ihre Sprachlosigkeit, ihre Selbstgerechtigkeit und ihren Abscheu. Dieser gestrauchelte Schlaumeier ist endlich gekommen, um sein gerechtes Urteil in Empfang zu nehmen. Wer kann sagen, ob er noch so etwas wie Schamgefühl kennt?
    Er läuft weiter Richtung Meer. Der Wind bläst durch seine Haare. Möwen umkreisen die Pavillons. Etwas Totes im Sand. Die Sonne, die rot untergeht. In seinem panischen Lauf ist er, kurz vor der Promenade, mit einer Rollerskaterin zusammengeprallt. Als sie auf den Asphalt stürzt, baumeln die Kopfhörer von ihren Ohren – wie ein Kabel, das man mutwillig durchschnitten hat. Aber schau: Wie ein irrer Hürden-Läufer rappelt sich Ross wieder auf und läuft weiter auf den rauschenden Pazifik zu, das Meer, das ihm so einladend zuwinkt.
    Als er ans Ende des Piers kommt, hält er atemlos an, die Hände auf die Knie gestützt, die Augen auf den Boden fixiert. Dann richtet er sich auf, schaut über das Wasser, noch immer schwer atmend, die Luft in seinen Lungen kontaminiert von der Realität seines kranken Herzens. Eine Coladose tanzt auf den Wellen. Und ein Müllbeutel, der hin- und hergerissen wird wie eine arme, betrogene Seele. Ein Ratten fangender Junkie am Strand. Möwen. Sirenen in weiter Entfernung. Hubschrauber, die in der Umgebung nach ausbrechenden Bränden suchen. Jede Ratte muss ins Meer.

Gay Paris, New York
    GAY PARIS, NEW YORK
    »Wo ist Gloria?«, sagt Black Jesus.
    »Keine Ahnung, Liebling. Sie ist vor ’ner Weile mit ihrem Moped weggefahren. Ich glaub, sie sagte was von Einkaufen, obwohl ich mir beim besten Willen nicht vorstellen kann, dass sie da draußen was findet, was sie im Dairy Queen nicht auch finden kann.« Debbie White wirft einen stolzen Blick über ihren Flohmarkt, über ihr wertloses Königreich, und ihre Augen werden dabei so feucht, dass es nicht mehr weit ist zur ersten Träne. Es ist ein warmer Tag für Oktober. Gelegentlich durchkreuzen Gänse den Himmel, und von den Bäumen fallen rote, gelbe und braune Blätter.
    »Wenn man vom Teufel spricht«, sagt Debbie und schaut auf den mit Schotter bedeckten Parkplatz, wo das Mädchen gerade ihre Maschine abstellt, sie auf den Ständer wuchtet und ihren verrückten Helm abzieht, dessen rosafarbene Sichtblende die Sonne reflektiert.
    »Um ehrlich zu sein, Lionel: Ich weiß noch immer nicht, was ich von ihr halten soll. Die Hälfte der Zeit scheint sie sich in irgendeine Traumwelt zu verabschieden.«
    »Musst du gerade sagen.«
    »Psst«, flüstert Debbie. »Hier kommt sie.«
    »Hallo zusammen.«
    »Hallo, Gloria. Ein toller Tag heute, oder?«
    »Kann man nicht oft genug sagen.«
    »Toller Tag«, sagt Black Jesus, der nun schon seit vierundzwanzig Stunden ohne seine Pillen auskommt.
    »Und, wie läuft das Geschäft heute?«, fragt Gloria.
    »Kann nicht klagen. Wir haben das Gemälde mit dem Wolf verkauft, das immer dort drüben hing. Wurde auch verdammt noch mal Zeit. Hab sechzehn Dollar dafür bekommen.«
    »Es hing immer in meinem Zimmer, als ich klein war«, sagt Lionel. »Dann hab ich’s gegen die Stranger In A Strange Land von Iron Maiden eingetauscht.«
    »Was hast du denn gekauft, Süße?«, fragt Debbie und zeigt auf die Einkaufstüte in Glorias Hand.
    »Oh, nur ein paar Sachen, um einen Biskuitkuchen zu backen. Was mich zu der nächsten Frage bringt: Was meinen Sie, Debbie, könnte ich vielleicht ausnahmsweise Ihre Küche benutzen?«
    »Hm, ich bin mir nicht sicher, ob ich irgendjemandem erlauben sollte, dieses alte Ungetüm …«
    »Mama«, grummelt Lionel. »Kannst du dich nicht einmal im Leben locker machen?«
    »Na gut, okay. Du kannst dort deinen Kuchen backen«, sagt Debbie und versteckt ihre geballte Faust in der Tasche ihrer Jogginghose. »Aber mach anschließend wieder sauber.«
    »Machen wir doch sofort«, sagt Gloria mit einem Lächeln. »Und Tausend Dank.«
    Eine Stunde später gibt Gloria den Teig in eine Kuchenform, schiebt ihn in den vorgeheizten Ofen, schließt die Tür und beginnt mit den Vorbereitungen für die Glasur. Normalerweise wird ein Biskuitkuchen ohne Glasur serviert, aber dieser Kuchen ist schließlich für eine ganz besondere Person bestimmt.
    Sie stellt einen Kochtopf auf die rissige Resopalanrichte und gießt ein halbes Glas Milch hinein. Mit einem Streichholz entzündet sie das Gas auf einer Kochstelle des
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