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Black Jesus

Black Jesus

Titel: Black Jesus
Autoren: Simone Felice
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so.«
    Sie zieht eine Grimasse und sieht ihn an. »Was willste denn damit sagen? So heißt du nun mal.«
    »Ich heiß jetzt Black Jesus.«
    »Was?«
    »Black Jesus. So nennen sie mich.«
    »Wer?«
    »Die Jungs in der Truppe.«
    »Und warum?«
    »Weil ich so weiß bin. Und weil mein Nachname White ist. Und weil ich an Weihnachten geboren wurde.«
    »Schnall ich nicht.«
    »Einer der Jungs hat ’nen Vater, der in Georgia Prediger war. Trichterte ihm allen möglichen Scheiß ein. Dass Jesus eine Nutte geheiratet hat. Dass Jesus in Wahrheit ein Farbiger war. Nur so’n Scheiß.«
    »Na super.«
    »Man nennt das Sarkasmus, Ma. Einmal sagten sie mir, ich solle auf ein Ölfass steigen und die Arme ausstrecken wie eine Vogelscheuche und …«
    »Sie wollten dich verarschen?«
    »Das haben sie nicht so gemeint. Sie sind nun mal auf diesem Trip …«
    Ein Vogel knallt gegen die Windschutzscheibe. Das Geräusch schreckt Lionel auf. Er zittert.
    »Was war das?« Er muss es einfach wissen. Seine Finger krallen sich in den Sitz, sein Rückgrat presst sich gegen den vergammelten Vinylbezug.
    Debbie antwortet nicht. Die sterblichen Überreste des Vogels sind zum großen Teil bereits vom Fahrtwind weggerissen worden, aber nicht alles. Etwas, das wie ein Teil des Kopfes aussieht, klebt noch am Glas. Ein Auge. Schwarze Federn und ein hauchdünner Knochen – so zerbrechlich wie die Stäbchen in einem chinesischen Fächer. Blut läuft in einem feinen hellen Rinnsal die Scheibe hinunter. Sie verfolgt seinen Lauf – ein bizarres Zickzack, so unberechenbar wie das neue Leben, das sie sich für ihren Sohn ausgedacht hat. Während das Rinnsal unter der Scheibe verschwindet – dort, wo die Scheibenwischer schlafen –, denkt sie: Lüg ihn an, Debbie. Hat er nicht schon genug Blut sehen müssen?
    Wieder fragt er seine Mutter, was das für ein Geräusch war.
    »Nichts«, sagt sie und schaltet den Scheibenwischer ein. Mit ihren Augen verfolgt sie, wie die blutigen Wischblätter von einer Seite zur anderen quietschen und die letzten Vogelreste von der Scheibe fegen.
    Es ist kalt geworden im Chrysler. Der Soldat friert. Debbie kurbelt das Fenster wieder hoch. Von Weitem sieht sie, dass ein Auto mit roten Warnblinkleuchten am Straßenrand steht. Sie muss an ihren Werkzeugkasten im Kofferraum denken, an den Wagenheber. Als sie näher kommt, sieht sie, dass die Kühlerhaube offen steht. Leichte Rauchschwaden steigen auf. Zehn zu eins, dass es der Kühler ist. Vielleicht sollte sie anhalten und ihre Hilfe anbieten. Nein, heute nicht. Heute muss sie ihr Baby nach Hause bringen.
    Als sie an Exit 19 vorbeifahren, atmet sie vorsichtig ein und sagt: »Es ist nicht alles verbrannt …«
    Er hört es und sagt: »Zum Beispiel?«
    »Oh, keine Ahnung. Dein Babar zum Beispiel.«
    Der Soldat rührt keine Miene. Debbie dreht ihren Kopf, um zu sehen, wie er die Neuigkeit aufnimmt. Ein listiges Grinsen auf ihrem Gesicht.
    Ein paar Minuten später fragt er: »Hast du ihn aus dem Feuer rausgeholt?«
    »Nicht wirklich.«
    »Aber die Feuerwehrleute?«
    »Hmmm. Auch nicht.«
    »Nun spann mich nicht auf die Folter, Ma.«
    »Ich hab ihn am Morgen rausgenommen.«
    »An welchem Morgen?«
    »Am Tag, als unser Haus abgebrannt ist.«
    »Trailer.«
    »Unser Zuhause.«
    »Inzwischen nicht mal mehr das.«
    »Okay, ich hab ihn also von deinem Bett genommen und einen kleinen Ausflug zum See mit ihm gemacht. Als ich wieder zurückkam, machte der Feuerwehrwagen in der Einfahrt einen Höllenlärm. Die Nachbarn gafften, überall schwarzer Rauch – ganz wie im Film. Es stank zum Himmel, aber irgendwie gefiel es mir auch schon wieder: der Rauch und die Flammen und so.«
    »Wo ist er jetzt?«
    »Babar?«
    »Ja.«
    »An einem sicheren Ort.«
    »Und wo ist der?«
    »Wirst du schon sehen«, sagt sie und möchte sich am liebsten gleich ohrfeigen: Wie kann man nur so etwas Gemeines sagen?
    Sie fahren über den dunklen Highway bis zum Exit 21: »Catskill/Gay Paris/Cairo« steht nüchtern und lieblos auf dem im Scheinwerferlicht auftauchenden Schild, das dort unerschütterlich aus dem Boden wächst. Es scheint den Eindruck erwecken zu wollen, es habe hier schon vor den ersten Bäumen gestanden – und würde noch immer hier stehen, wenn es niemanden mehr gab, der auf der maroden Landstraße heim ins Nichts fuhr.
    Sie bezahlt die Mautgebühr mit einer Handvoll Münzen, und zwei Kuschelklassiker später rollen sie, Hand in Hand, auf den Parkplatz des innigen Traumes vom ewigen Sommer, den sie
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