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Black Jesus

Black Jesus

Titel: Black Jesus
Autoren: Simone Felice
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konnte ihre Fragen beantworten. Im Laufe meines Lebens hab ich genug Scheiße erlebt und weiß sofort, ob jemand auf der Flucht ist, und ich war lange genug auf der Jagd, um zu wissen, wie eine Beute aussieht, die in die Enge getrieben ist.«
    »Beute?«
    »Jemand ist doch hinter dir her, oder nicht?«
    Sie fühlt, wie sie sich wieder der Ohnmacht nähert. Sie atmet tief durch und sagt: »Weiß nicht. Gut möglich, dass er mich verfolgt.«
    Der Wagen rumpelt weiter, und der Fahrer hat beide Hände am Lenkrad. Sein Rücken ist aufrecht, und hinter seiner Pilotensonnenbrille suchen seine Augen nach Schlaglöchern, Hochwild und streunenden Hunden. Ihr Kopf will dem Mädchen Angst einreden, doch ihr Körper fühlt nichts davon. Sie beginnt zu verstehen, dass Sicherheit ein Wort mit unterschiedlichen Bedeutungen ist. Es gibt solche Zufluchtsorte und solche. Ein ausgetrockneter toter Hase liegt am Straßenrand, unter den Bäumen wachsen wilde Blumen, ihre Augen, zum Fragezeichen gefroren, sehen inzwischen alles doppelt – und der Kassettenrekorder singt ein Lied, zu dem sie früher getanzt hat.
    Im Club arbeitet sie an der Stripstange, während ein orangefarbenes Stroboskoplicht über ihr flackert. Die Männer an den Tischen beobachten sie, und ein alter Hit namens »Gloria« dröhnt aus dem Lautsprecher, der an einer Kette von der Decke hängt. Für eine Stripperin hat sie kleine Titten. Gloria, Gloria. Sie hat lange Beine und hat ihren Mund angemalt, und ein Mann flüstert seinem Nachbarn etwas ins Ohr, und sie lachen und grölen und prosten sich in diesem klimagekühlten Krawall aus Lust und Lärm mit den Gläsern zu. Gloria. Das Mädchen kauert nieder, legt ihre Handflächen auf den Boden, streckt den Arsch in die Höhe und schwingt ihn von einer Seite zur anderen.
    Als sie ihre Augen wieder aufschlägt, liegt sie auf einem schmalen Bett in einem schlichten, aufgeräumten Zimmer. Ein Glas Wasser steht auf dem Nachttisch. Sie setzt sich auf und trinkt. Die Flüssigkeit in ihrem ausgetrockneten Mund fühlt sich gut an. Als sie das Glas wieder absetzt, merkt sie, dass unterhalb ihrer Hüfte etwas passiert sein muss. Mit ihrer Hand schlägt sie die dünne Decke zurück und sieht, dass ihr Bein auf einem Kissen liegt. Unter ihrem Knie ist es mit einem Metallstab geschient, der mit sauberem Verbandszeug umwickelt ist.
    Durch die Schiebetür auf der anderen Seite des Zimmers sieht sie auf einen trockenen Rasen und dünne weiße Wolken in einem endlosen Himmel. Ein Mann tritt in ihr Blickfeld. An einer kurzen Leine führt er ein Pferd Richtung Haus. Als sie näher kommen, sieht das Mädchen, dass das Pferd verletzt sein muss: Sein Kopf hängt kraftlos herab, es scheint sich nur mühevoll bewegen zu können. Der Mann beugt sich zu seinem Ohr und flüstert ihm etwas zu. Dann küsst er es auf die Stirn und streichelt ihm über den Kopf.
    Er öffnet die Schiebetür und – das Mädchen mag ihren Augen nicht trauen – führt das Pferd ins Zimmer hinein.
    »Das ist Cher«, sagt er mit einer Kopfbewegung.
    »Hi, Cher«, sagt sie auf dem Bett liegend, noch immer benommen.
    »Ich würde die Vorstellung ja fortsetzen, aber ich weiß nicht, wie du heißt.«
    »Gloria«, hört sie sich sagen.
    »Nur Gloria?«
    »Ja.«
    »Gut, dann haben wir gleich zwei Diven auf unserem Grundstück. Cher, das ist Gloria.«
    Draußen hat ein leichter Regen eingesetzt, und der Mann dreht sich um und schließt die Tür. Cher hebt den Kopf und gibt mit den Nüstern ein leises Geräusch von sich. Die Ausreißerin lächelt, fühlt sich warm und wohl unter ihrer Decke und weiß, dass sie hier sicher ist.
    »Wer sind Sie?«, sagt sie zu dem Mann.
    »Charles P. Shoemaker der Vierte, der Letzte in einer langen Reihe von Sonderlingen.«
    »Reparieren Sie Schuhe?«
    »Die Vermutung liegt nahe, aber ich repariere Pferde. Vielleicht sollte ich besser sagen: Ich versuche, sie wieder auf die Beine zu stellen.«
    Sie schaut ihn an, greift nach dem Glas und trinkt einen Schluck. »Haben Sie schon jemals ein kaputtes Mädchen geflickt?«
    »Nein. Hätte ich mal besser mit meiner geschiedenen Frau gemacht, dem Flittchen. Hätte ihr die Eierstöcke abbinden und zu einem giraffenförmigen Ballon aufblasen sollen.«
    Das Mädchen lacht und trinkt noch einen Schluck Wasser. »Nun, es gibt für alles ein erstes Mal«, sagt sie.
    »So sagt man.«
    Nach einer Weile sagt sie: »Danke, Charles.«
    »Chuck.«
    »Danke, Chuck, dass du mir hilfst. Ich bin wirklich
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