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Bitter im Abgang

Bitter im Abgang

Titel: Bitter im Abgang
Autoren: Aldo Cazzullo
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Interview gegeben hatte. Hin und wieder machte Roberto sich einen Spaß daraus, den Zeitungen zwanzig Jahre alte Fotos unterzujubeln; einmal gab er einer linken Zeitung, die nicht lockerließ, sogar das Bild eines Freundes, der ihm ähnlich sah. Allerdings war auch er der Presse gegenüber äußerst vorsichtig und versuchte, sie für seine Zwecke einzuspannen. Er ließ sich gern zitieren, und zu Weihnachten verschenkte er auch mal die eine oder andere gute Flasche, jedoch stets mit Bedacht, kleine Mengen, auf keinen Fall aus den besten Jahrgängen und nur an ausgewählte Adressaten. Doch an diesem Tag hatte er überhaupt keine Lust zu reden. Schon gar nicht über seinen Vater, der noch nicht einmal unter der Erde war. Aber die Anfrage kam von einer renommierten Zeitung, und die Stimmeam Telefon klang verführerisch, eine Französin. Deshalb hatte er einem Treffen zugestimmt, unter der großen Uhr in der Via Maestra. Als er Sylvie dann sah, war er sofort hingerissen.
    Er führte sie ins Vincafé, ein Lokal, das auf Ausländerinnen immer Eindruck machte: unverputzte Ziegelwände, alte Holzbalken, lange dunkle Treppen. Man kam sich vor wie im Keller seines Großvaters, wo er als Kind oft gewesen war; dort hatte er zum ersten Mal Angst erlebt und später als Jugendlicher den ersten Wein gekostet und die ersten Frauen ausprobiert.Unterwegs wollte er Sylvie unbedingt die Buch- und Weinhandlung zeigen, auch das einer seiner Lieblingsorte. Als Schüler hatte er dem alten Buchhändler immer beim Verkauf der Schulbücher geholfen. Von dem Lohn kaufte er sich jedes Jahr irgendetwas, ein Fahrrad, ein gebrauchtes Moped, ein Paar Timberland-Schuhe. Später, als immer mehr Touristen kamen, hatte der Buchhändler angefangen, sein Sortiment zu erweitern, und außer Romanen und Lehrbüchern auch Wein und Trüffel angeboten. Inzwischen war er selbst nicht mehr da, und die Bücher wurden immer weniger. Aber Roberto wusste, dass man dort den Bildband eines Freundes führte, der es noch geschafft hatte, die schönsten Ecken der Langhe zu fotografieren, bevor er sich erhängte.
    Sylvie blätterte in dem Bildband und sah sich Fotosvon den Langhe im November an. Neben dem Regal, das der Buch-Weinhändler aus diesem Anlass mit Moresco-Weinen bestückt hatte, entdeckte Roberto ein Buch mit roter Bauchbinde: «Gaetano Gaetani – der neueste Krimi des Schriftstellers aus den Langhe». Verblüfft dachte er, Schriftsteller aus den Langhe? Jetzt sieh dir mal diese Süditaliener an, unverschämt, aber clever. Ein paar Mythen hatte Alba immerhin hervorgebracht, die Trüffel und die Weine. Aber selbst wenn Saviano oder Cassano hier in den Langhe geboren wären, in Bene Vagienne oder Acqui Terme zum Beispiel, würde kein Mensch ihnen Beachtung schenken.

23

Alba,
Freitag, 20. April 1945, 6.30 Uhr
    Fast panisch, als könne er ihr jeden Augenblick entrissen werden, liebkoste Marisa Tibaldi den geliebten Mann. Sie bewunderte seine Intelligenz, war geblendet von seiner Kraft, doch sie liebte ihn auch wegen seines Körpers, auf den sie nur schwer hätte verzichten können.
    Sein Ansinnen hatte sie verwirrt. Die meisten Frauen, die sie kannte, hätten das als einmaligen Glücksfall betrachtet und mit Freuden zugestimmt. Aber sie hatte schon genug Schuldgefühle, noch eins hätte sie nicht ertragen. Deshalb hatte sie zunächst abgelehnt. Und er musste mehr Mühe als gewöhnlich aufwenden, um sie zu überzeugen.
    «Marisa, jetzt überleg doch mal. Das ist eine einmalige Gelegenheit für alle. Für deine Familie. Für Antonio. Für die Firma. Für die Stadt.»
    «Das ist eine zu große Belastung. Und es ist gestohlenes Geld.»
    «Es ist nicht gestohlen. Es ist ein Geschenk des Herrn. Eine kleine Wiedergutmachung für all das Schlimme, das wir durchgemacht haben.»
    «Und an das Schlimme, das wir selbst getan haben, denkst du nie? Und außerdem, eine solche Summe, die nennst du klein?»
    «Nein, die Summe ist nicht klein. Aber wenn wir sie nicht gut anlegen, wird sie in zwanzig Jahren winzig sein. Auch Jesus sagt: die Talente darf man nicht vergraben. Man muss sie nutzen.»
    «Ja, aber warum ausgerechnet wir?»
    «Weil dein Mann Talent hat. Und Antonio noch viel mehr. Du müsstest ihn sehen, im Seminar, wie fleißig er lernt, wie er sich engagiert. Und außerdem ist er schlau wie der Teufel. Er versteht alles wie im Flug. Kaum hat man angefangen, weiß er schon, worauf es hinausläuft. Neulich hat er mir gesagt …»
    Marisa Tibaldi legte ihm den Zeigefinger
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