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Bitter im Abgang

Bitter im Abgang

Titel: Bitter im Abgang
Autoren: Aldo Cazzullo
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wie wir manchmal den ganzen Abend damit zubrachten, uns seine Abenteuer anzuhören? Dann wurde lang und breit erzählt, wie er die Deutschen unzählige Male genarrt hat, dass er auf seinem Motorrad in den Kampf zog und dabei mit den Füßen lenkte, um die Hände für das Maschinengewehr frei zu haben. Morgens wollte man ihn in Mombarcaro gesehen haben, nachmittags in Alba und abends in Pedaggera. Eines Tages, so erzählt man sich, soll er den Deutschen an der Straße nach Treiso aufgelauert haben, und am nächsten Morgen saß er dann seelenruhig dort auf der Piazza und trank seinen Espresso. Er tauchte plötzlich auf und verschwand dann genauso schnell wieder – auf dem Motorrad, im Auto, mit dem Fahrrad …»
    «Deshalb ist er auch bei einem banalen Verkehrsunfall ums Leben gekommen.»
    Mit einem Blick gab Alberto zu verstehen, dass er nichts weiter zu sagen hat.
    «Na gut. Nimm, was dir zusteht», sagte Moresco und zeigte auf die Tasche, «und dann schieß in den Wind.» «Die Mundart benutzt du auch nur noch zum Fluchen.»
    «Hau ab, Alberto.»

19

Alba,
Sonntag, 25. April 2011, 19.15 Uhr
    Als der Wirt den Inspektor eintreten sah, dachte er einen Augenblick lang, es sei wegen der ranzigen Fonduta. Auch der Apotheker hatte sich beschwert, und tatsächlich kam es an vollen Sonntagen manchmal vor, dass den Kunden Sachen vom Vortag vorgesetzt wurden. Und eine Fonduta, die nicht frisch gemacht ist …
    «Guten Abend. Was kann ich für Sie tun?»
    Der Inspektor beschloss, auf Angriff zu setzen.
    «Etliches. Zum Beispiel können Sie mir erklären, warum die Zeit ein Gentleman ist.»
    Der Wirt tat so, als verstünde er nicht. Und ging zum Gegenangriff über.
    «Hören Sie, heute Abend ist es ungünstig. In einer Viertelstunde kommen schon die ersten Gäste. Im Übrigen sind wir hier nicht in Chile. Die Polizei kann hier nicht tun und lassen, was sie will, mit wem sie will und wann sie will.»
    «Ich bin noch nicht fertig. Ich wollte sie auch noch fragen, warum das Leben lang ist.»
    «Das scheint mir nicht der Augenblick für Scherze.»
    «Das stimmt. Diese Gemeinschaft ist in Trauer.»
    «Ich gehöre dieser Gemeinschaft an. Und Sie?»
    «Ich auch, wenn ich im Dienst bin.»
    «Und das gibt Ihnen das Recht zu denken, ich wüsste irgendetwas über die Ermordung von Moresco?»
    «Woher wissen Sie, dass er ermordet wurde?»
    «Inspektor … hier spricht sich alles schnell herum.»
    «Offenbar wissen Sie eine Menge über Moresco.»
    «Ich nicht. Mein Vater, der kannte ihn gut. Ich kannte ihn nur vom Sehen. Er ging nie zum Essen aus, jedenfalls nicht in Alba. Und wie Sie wissen, kann ich es mir nicht leisten, seine Weine zu führen.»
    «Sie haben heute gesagt, dass die Zeit ein Gentleman ist. Was haben Sie damit gemeint? Je früher Sie mir das erklären, desto eher können Sie Ihre Schweizer bedienen.»
    «Woher wissen Sie, dass es Schweizer sind?»
    «Wer sonst sollte für halb acht einen Tisch zum Abendessen reservieren? Nun? Als Sie erfuhren, dass Moresco ermordet wurde, haben Sie gesagt, dass das Leben lang und die Zeit ein Gentleman ist. Warum? Was steckt dahinter?»
    «Eine schlimme Geschichte, Inspektor. Man weiß ja, wie sehr die Trüffelsucher sich gegenseitig verachten.Sicher, normalerweise schießen sie nicht gerade aufeinander. Aber richtig gemeine Sachen, die machen sie schon … nicht bloß zerstochene Reifen. Sie vergiften gern den Hund des anderen, wussten Sie das?»
    Davon hatte der Inspektor auch schon gehört. Junge Hunde werden mit viel Prügel und wenig, aber stets mit Trüffel gewürztem Futter aufgezogen. Folglich sind Futter und Trüffel für einen guten Hund ein und dasselbe. Nur wenn das arme Tier vollkommen ausgehungert ist, findet es den Trüffel. Doch dann nimmt man ihm die Beute weg, und es darf wieder von vorne anfangen. Eine echte Tortur, wie die von Tantalos und Sisyphos zusammengenommen.
    «Es kommt mir seltsam vor, dass man Moresco wegen ein paar Trüffeln ermordet haben soll. Schwarze Trüffel, noch dazu. Und außerdem war er ja nicht bloß Trüffelsucher.»
    «Natürlich nicht.»
    «War er eigentlich bei den Partisanen?»
    «Sogar als Kommandant. Aber Rachefeldzüge, die hat es hier nicht gegeben. Wir sind ja nicht im Todesdreieck. Und Faschisten hatten wir hier in der Stadt sowieso keine.»
    «Keinen einzigen?»
    «Ein paar lauwarme, vor dem Krieg. Aber zuzeiten der Republik von Salò standen alle hinter den Partisanen. Bis auf die Brüder Vergnano und ein paar andere.Sicher, man
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