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Bitter im Abgang

Bitter im Abgang

Titel: Bitter im Abgang
Autoren: Aldo Cazzullo
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1

Wald von Costamagna,
Sonntag, 25. April 2011, 9 Uhr
    Als Domenico Moresco tot aufgefunden wurde, sah zunächst alles nach einem Herzinfarkt aus. Ein harmloser Dornenkratzer an der Stirn, sonst nichts, keine andere Verletzung, die auf ein Verbrechen schließen ließ. Schon gar nicht an einem Ostersonntag, der in diesem Jahr auf den Tag der Befreiung fiel. Und warum auch? Warum sollte jemand Moresco, den ehemaligen Partisanenführer, ermorden, und ausgerechnet an einem in doppelter Hinsicht hochheiligen Feiertag? Dennoch wurde die Polizei verständigt.
    Moresco war eine bedeutende Persönlichkeit. Einer der reichsten Männer Albas, vielleicht sogar ganz Italiens. Mit seinem Wein hatte er sich ein kleines Imperium aufgebaut. Kein Vergleich zu Tibaldi natürlich. Aber sein Wein war etwas Besonderes. Tibaldi war eine weltbekannte Marke, der größte Weinproduzent Europas, Moresco nur etwas für Kenner. Die Weine von Tibaldi gab es in jedem Supermarkt, die vonMoresco nur in Weinhandlungen. In den Chinarestaurants stand der Weiße von Tibaldi ganz oben auf der Weinkarte, während der Chardonnay von Moresco von den Mächtigen in Shanghai getrunken wurde. Tibaldis Barbera war eine Goldgrube, Morescos Barbaresco ein Mythos.
    Der Kommissar merkte schnell, dass hier irgendetwas nicht stimmte. Schon bei seiner Ankunft im Wald oberhalb von Costamagna hatte er einen roten Panda wegfahren sehen, der es für einen Sonntagmorgen ungewöhnlich eilig hatte. Außerdem hatte man an Morescos Geländewagen einen Reifen zerstochen. Die Erde an seiner kleinen Schaufel war noch feucht – offenbar hatte er gerade etwas ausgegraben. Beim Sturz hatte sein massiger Körper von eins achtzig, Ergebnis von achtzig Jahren ausgiebiger Ess- und Trinkgelage, einen messerscharfen Abdruck in den feuchten Grund gezeichnet. Rundherum Spuren von Stiefelsohlen.
    Der Kommissar dachte, dass bei Morescos Tod rein gar nichts in Ordnung war. Aber das wunderte ihn nicht. Inzwischen wusste er, dass es hierzulande grausam zuging, wenn nötig, noch grausamer als in seiner Heimat im Aspromonte. Selbst mit dem Hund stimmte etwas nicht. Er saß nicht etwa winselnd neben seinem Herrchen, bellte nicht einmal, sondern fraß halb versteckt hinter einer Buche an einem Trüffel.

2

Alba,
Donnerstag, 19. April 1945, 2 Uhr morgens
    Mit einem Gewehrschuss sprengte Domenico Moresco den Türriegel und das gesamte Schloss des Pfarrhauses.
    «Bist du verrückt? Willst du die ganze Stadt aufwecken? Auch Spitzel und Faschisten?»
    «Die Faschisten kuschen und werden schön brav die Klappe halten, die haben kapiert, dass ihre Zeit vorbei ist. Ich kann nicht die ganze Nacht mit Klopfen verbringen. Und in der Kirche war ich seit zwanzig Jahren nicht mehr, verdammt …»
    «Und da hast du dir gedacht, wennschon, dennschon. Bravo. Hör wenigstens auf zu fluchen. Es bringt schon genug Unglück, mit der Waffe in der Hand in die Kirche einzudringen.»
    «Still, Alberto! Und schön brav die Klappe halten, wie die Faschisten, hörst du? Der Pfarrer kommt schon», sagte Moresco und grinste siegessicher.
    Auch Don Tadini hatte ein Gewehr in der Hand. Insolchen Zeiten konnten selbst die Priester schießen. Und überhaupt, seit man ihm dieses goldene Kuckucksei ins Nest gelegt hatte, schlief er mit dem Gewehr unterm Bett.
    «Wer ist da?»
    «Wir sind’s, Priester. Kein Grund zu schreien. Hör auf zubrüllen.»
    Die leicht abschätzige Anrede hatte Moresco absichtlich gewählt. Er wollte ihn nicht bloß einschüchtern, sondern ihm unmissverständlich zu verstehen geben, dass sich mit dem Krieg alles verändert hatte. Nun hatte er keine Angst mehr vor ihm, ja nicht einmal mehr besonderen Respekt. Selbst die Landarbeiter und die Armen der Stadt würden sich nicht mehr ehrfürchtig vor dem Pfarrer verneigen.
    «Was wollt ihr?»
    «Das weißt du genau.»
    Da begriff Don Tadini, dass es für ihn schlecht aussah.

3

San Benedetto Belbo,
Sonntag, 17. November 1963
    Amilcare Braida war immer schon der Überzeugung gewesen, der November sei ein guter Monat zum Sterben. Vor allem hier in den Langhe.
    Im November beginnt in den Langhe der Wein zu reifen, die Trüffel sprießen. Die Blätter an den Weinstöcken werden bunt, rot, granatapfelfarben, violett, rubinrot. Noch ist es nicht kalt, und am Ende der sonnigen Tage senkt sich der Nebel herab wie eine Decke. Tatsächlich hatte Amilcare Braida nicht mehr lange zu leben. Jetzt aber schien ihm ein vorzeitiger Tod, den er immer für einen Glücksfall
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