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Bitter im Abgang

Bitter im Abgang

Titel: Bitter im Abgang
Autoren: Aldo Cazzullo
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aufgehängt. Vor aller Augen zur Schau gestellt wie eine Jagdtrophäe. Wie ein Fasan. Da war es ein Glück, schnell zu sterben.»
    Don Tadini machte eine Handbewegung, wie um ein Bild zu verscheuchen, vor dem ihm graute.
    «Ist das vielleicht meine Schuld? Ich habe alle Toten gesegnet, auch deine Genossen. Ich habe jede Menge Kommunisten ins Paradies geschickt. Als Alba von den Partisanen eingenommen wurde, habe auch ich die Glocken geläutet. Aber dann, als die Faschisten zurückkamen, wart ihr Partisanen nicht zur Stelle, um die Stadt zu verteidigen. Weggeflogen seid ihr wiedie Drosseln. Und die Faschisten konnten wieder schalten und walten wie eh und je.»
    «Meine Leute sind nicht getürmt. Wir haben gekämpft, im strömenden Regen, auf dem Hügel an der Villa Miroglio. Wir haben Alba ehrenhaft geräumt. Und die Faschisten mussten selbst die Glocken läuten.»
    «Das stimmt.»
    Einen Augenblick war es still. Der Priester und der Partisan schnappten nach Luft, um nach dem hitzigen Wortwechsel wieder zu Atem zu kommen. Es war kalt, und die kleinen Dampfwolken vor ihrem Mund vermischten sich. Da meldete sich Alberto zu Wort, der sich bis zu diesem Augenblick in Schweigen gehüllt hatte.
    «Priester, zeig uns jetzt das Gold.»
    «Das kann ich nicht. Ich kann das nicht alleine entscheiden. Einfach so. Kommt morgen wieder.»
    «Nein. Morgen sind dann die Faschisten oder die Deutschen hier und warten auf uns.»
    «Du glaubst doch nicht, dass ich …»
    «Du vielleicht nicht. Aber irgendjemand könnte uns beobachtet haben. Die Sache wird heute Nacht entschieden», sagte Moresco bestimmt und griff erneut nach dem Gewehr.
    «Also gut. Wartet hier.»
    «Wie lange?»
    «Mindestens eine Stunde.»
    «Wir geben dir eine halbe Stunde, mehr nicht.»
    «Eine Stunde habe ich gesagt. Ich bin doch nicht Bartali.»
    Eigentlich war Moresco eher für Coppi, aber diesmal fehlte ihm die Luft zur Widerrede.

6

San Benedetto Belbo,
Montag, 18. November 1963
    Mühsam schleppte sich Amilcare Braida zur Tür, um zu öffnen.
    «Ciao, Johnny.»
    «Ciao, Alberto. Komm rein. Ich freue mich, dich zu sehen.
    Amilcare hörte es gern, wenn die alten Freunde ihn mit seinem Decknamen aus der Resistenza anredeten, deshalb machte er es genauso. Und Alberto war, zumindest in seiner Zeit bei den Autonomen, einer seiner engsten Freunde gewesen. Er, Johnny, hatte es umgekehrt gemacht: zuerst die Garibaldini und dann die Autonomen. Alberto dagegen hatte die ganzen Langhe nach den Garibaldini abgesucht und war dann, als er sie schließlich gefunden hatte, bei ihnen geblieben.
    Auch Alberto war kein großer Freund von Politkommissaren, Indoktrinierung, Disziplin. Vielleicht war er nicht einmal ein richtiger Kommunist. Aber für ihnstand außer Frage, dass dieser Krieg ein echter Befreiungskrieg sein musste. Befreiung von den Priestern, den Herren, den Reichen. Man kämpfte um das Land, für die Halbpächter, die am Martinstag einfach vertrieben wurden, um eine Wiedergutmachung für das elende Leben der Väter und für die Prügel, die die Faschisten noch obendrauf gesetzt hatten. Johnny kämpfte aus innerer Notwendigkeit, aus Pflichtgefühl, aus moralischen Gründen, aber auch, um an der großen Geschichte mitzuwirken. Alberto hingegen hatte, genau wie die Faschisten, eine echte Wut im Bauch. Wenn es ums Schießen ging, schossen beide, für Alberto jedoch ging es um etwas sehr Persönliches.
    «Rauchst du?»
    «Johnny, du solltest nicht rauchen.»
    «Das sind meine letzten Zigaretten. Du weißt es. Du siehst es.»
    «Hast du starke Schmerzen?»
    «Nein. Ich kriege nur keine Luft mehr. Wie damals in den Bergen. Weißt du noch? Wir waren dauernd auf der Flucht.»
    «Stimmt. Wir sind die Berge runter und wieder rauf gerannt, so schnell wir konnten, bei Schnee eine einzige Rutschpartie, hinter uns die Hunde und die Gewehrsalven. Trotzdem, es war eine schöne Zeit.»
    «Alberto, ich muss mit dir reden», sagte AmilcareBraida in einem Ton, den man gar nicht an ihm kannte.
    Alberto tat so, als hätte er nichts gehört. Er betrachtete die Bücher seines Freundes. Die Shakespeare-Sonette auf Englisch:
Love is not love/which alters when it alteration finds …
Die Blätter mit den Notizen. Die durchgestrichenen und neu geschriebenen Seiten. Er wusste, dass Johnny es ihnen zeigen würde, diesen Herrschaften aus Turin. Den großen Roman über den Partisanenkrieg würden nicht die Literaten schreiben, sondern er, ein einfacher Angestellter bei Tibaldi Vini, der die
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