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Bitter im Abgang

Bitter im Abgang

Titel: Bitter im Abgang
Autoren: Aldo Cazzullo
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Geschichte mit dem Schatz aufzuschreiben?»
    «Genau», sagte Braida und grinste sein traurig-ironisches Grinsen. «Ganz genau.»

10

Serralunga,
Sonntag, 25. April 2011, 12.45 Uhr
    An dem Sonntag, als sein Vater starb, hatte Roberto Moresco ein Wochenende mit Lavinia auf dem Programm. Zum Glück war sein Handy an, sodass seine Frau ihn sofort erreichte.
    Roberto war ein gutaussehender Mann. Schulterlange blonde Haare, einen guten Schneider, eine glänzende, wenn auch nicht umfassende Bildung. Seine Tätigkeit als Verkaufsleiter lenkte ihn nicht von den Frauen ab, im Gegenteil, sie spornte ihn an; vor allem seit der Vater ihm auch das Auslandsgeschäft übertragen hatte. Frauen hatten auf ihn die gleiche Wirkung wie Geld: Je mehr er davon hatte, desto unersättlicher wurde er. Und genauso wie Geld weiteres Geld anzieht, hatte er gelernt, dass Auftritte mit einer schönen Frau andere Frauen anlockten. Die leichteste Beute waren die Freundinnen der aktuellen Geliebten. Bisweilen auch die Schwestern, die ihm Avancen machten. Doch da er zwar hemmungslos, aber keinMistkerl war, hatte er diese Angebote stets «freundlich, aber bestimmt» abgelehnt; anschließend jedoch hatte er nichts Eiligeres zu tun, als seinen Freunden unter dem Siegel der Verschwiegenheit sein Leid zu klagen, aber nicht etwa, um ihr Mitleid zu erregen, sondern um sie neidisch zu machen. Zu den Frauen, eine in jeder Hauptstadt, wo er geschäftlich zu tun hatte, konnte er sanft und fürsorglich sein. Deshalb waren viele von ihnen ihm aufrichtig zugetan.
    Roberto hatte sich nie gefragt, ob sie wohl voneinander wussten. Manchmal stellte er sich jedoch vor, dass sie sich untereinander kennen würden und er sie vielleicht eines Tages einmal alle zusammenbringen könnte wie bei der UNO. Doch bis dahin befolgte er eisern die Regeln des Lügners, vor allem die wichtigste: Jede Lüge brauchte einen wahren Hintergrund. Und: Das Handy durfte nie zu lange aus sein.
    «Nein, Schatz, ich wusste es noch nicht. Aber es ist mir ein Trost, es aus deinem Mund zu erfahren. Dafür bin ich dir dankbar. Ich komme sofort zurück. Ja, du weißt doch, ich bin in der Schweiz. Ich brauche mindestens drei Stunden.»
    «Was hast du ihr dieses Mal erzählt?», fragte Lavinia grinsend mit verschwörerischer Stimme, in der jedoch der übliche polemische Unterton mitklang.
    «Mein Vater ist gestorben», sagte er, bevor er eine Träne zerquetschte.
    Sie umarmte ihn und brach in lautes Schluchzen aus: «Wir haben einen großen Mann verloren!» Sie umarmten sich lange. Dann begann Lavinia zu reden, während sie ihn streichelte, wie um seinen Schmerz zu lindern.
    «Dein Vater war ein starker Mann. Ungewöhnlich stark. Er war sein ganzes Leben lang Soldat. Aber er verstand es auch zu genießen. Aus dem Nichts hat er ein Imperium aufgebaut. Und er hat dich verstanden, dich akzeptiert. Und mich auch.»
    Er bedeutete ihr zu schweigen.
    «Willst du nicht darüber reden?
    Willst du mir nicht wenigstens sagen, wie er gestorben ist?»
    «Man hat ihn im Wald gefunden. Es heißt … es heißt, vielleicht ein Infarkt. Aber vielleicht wurde er auch ermordet. Er hatte Feinde. Irgendjemand hat ihm gedroht, ihn erpresst.»
    Lavinia schwieg erschrocken. Roberto rechnete aus, dass er von dem Schlösschen in den Weinbergen, das er für das Wochenende gemietet hatte, bis hinunter nach Alba höchstens eine halbe Stunde brauchte, selbst wenn er langsam fuhr. Folglich hatte er noch zweieinhalb Stunden Zeit. Also streichelte er ihren Hals, zog sie an sich, wie sonst, wenn er mit ihr schlafen wollte. Zunächst wehrte sie ihn ab, aber er ließ nicht locker. Dann nahm er sie mit derselben Gier wie der Hund seines Vaters den Trüffel.

11

Alba,
Donnerstag, 19. April 1945, 3 Uhr
    Don Tadini zögerte. Padre Bergoglio schwieg mit regloser Miene und dem lauernden Blick des Falken, der nur darauf wartet zuzuschlagen. Der Bischof begriff, dass er das Wort ergreifen musste.
    «Lieber Tadini, ich weiß, dass ich Ihnen eine Erklärung schulde. Ich hätte Sie vorher einweihen müssen. Aber das Beichtgeheimnis und die gebotene Vorsicht angesichts besonderer Umstände haben mich daran gehindert. Sie wissen ja selbst, es sind schwere Zeiten, auch für die Kirche. Dieser Sturm ist bald vorbei. Aber uns stehen weitere traurige Tage bevor. Es sind zu viele Bewaffnete unterwegs. Unsere Herde ist durcheinander, erschöpft, verängstigt. Sie ist mit zu vielem konfrontiert, das sie nicht kennt. Sie weiß nicht, was Parteien sind.
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