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Bitter im Abgang

Bitter im Abgang

Titel: Bitter im Abgang
Autoren: Aldo Cazzullo
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auch du kämpfen. Aber jetzt musst du dich ausruhen.»
    Das Handy klingelte. Es war das Büro in Alba. Tibaldi zuckte widerwillig. Sein Sekretär verstand und nahm den Anruf entgegen. Tibaldi hörte ihn nur ein paar knappe Fragen stellen «Was ist passiert?» Dann: «Um wie viel Uhr?» Und schließlich: «Wo wurde er gefunden?» Der Sekretär wirkte nicht sonderlich erschüttert. Er dachte gerade darüber nach, wie er die Nachricht am besten überbringen könnte, ohne seinen Chef zu stören, da hörte er diesen ein wenig leiser als gewöhnlich sagen: «Wer ist es diesmal?» «Domenico Moresco. Herzinfarkt. Na ja, immerhin war er schon weit über achtzig …»
    Beim Anblick der finsteren Miene seines Chefs verstummte er. Ein Fauxpas, dachte er insgeheim. Allerdings war Tibaldi mindestens fünf Jahre jünger als der Tote. Der Sekretär hielt den Atem an. Aber er war schon in viel größere Fettnäpfchen getreten bei diesem komischen, misstrauischen Mann, der lächelte, wenn andere schwarzsahen, und dessen Miene sich verfinsterte, wenn alles scheinbar bestens lief, und der selbst bei der Polizei seine Leute hatte, die ihn über alles informierten, auch wenn in der Stadt eigentlich nie irgendetwas passierte.
    «Dottore, die Beerdigung ist bestimmt erst in zwei Tagen. Und die amerikanischen Gäste reisen heute Abend ab. Also, alles kein Problem …»
    Aber Tibaldi war schon dabei, den Bademantel abzuwerfen.«Bestell den Hubschrauber. Wir kehren sofort nach Alba zurück.»

5

Alba,
Donnerstag, 19. April 1945, 2.10 Uhr
    «Moresco, es hat keinen Sinn zu insistieren. Ich habe keine Ahnung, wo das Geld ist. Ich weiß nicht einmal, ob es überhaupt existiert. Wer hat dir eigentlich gesagt, dass ich es habe? Wie kommst du darauf?» Don Tadini hatte sich wieder ein wenig gefasst. Immerhin war er der Pfarrer von Madonna Moretta. Ein Mann, der von den Mitgliedern seiner Pfarre gefürchtet und von allen in Alba respektiert wurde. Doch Moresco besaß die Arroganz der Zwanzigjährigen und des Krieges und dachte, dass er mit seiner Ballerei genau das Richtige getan hatte.
    «Hältst du uns etwa für blöd? Glaubst du, wir sind naiv, einfältig, plemplem, dämlich, schwer von Begriff, auf den Kopf gefallen?», fragte er spöttisch, und betonte jedes einzelne Wort. Bei dem Gedanken an die zahllosen Synonyme für Trottel, praktisch sämtliche französische und italienische Ausdrücke, musste er unwillkürlich lachen. Kein Zufall übrigens, denngenau diesen Eindruck machten die Piemontesen: Trottel. Moresco wusste allerdings auch, dass manche, ganz besonders die Priester, schlau waren wie der Teufel. Und die größte Hinterlist des Teufels bestand darin, sich dumm zu stellen.
    «Mein lieber Priester, wir haben tausend Augen. Auch in deiner Gemeinde. Glaubst du, wir hätten zwei Jahre lang in den Bergen überlebt, gehetzt wie die Tiere, wenn wir nicht überall unsere Informanten hätten? Wir wissen ganz genau, was du versteckst. Und wir sind gekommen, um zu holen, was uns zusteht. Unseren Anteil.»
    Als Don Tadini mitanhören musste, wie ausgerechnet seine Pfarrkinder als Informanten der Partisanen, noch dazu der falschen, der Kommunisten nämlich, bezeichnet wurden, fand er schlagartig seinen Mut wieder.
    «Du, du … Was weißt du denn schon? Ihr spielt oben in den Bergen die Helden. Aber was wisst ihr schon davon, wie die Leute hier ihr Leben fristen? Von den armen Menschen, die hier anklopfen und um ein Stück Brot und ein bisschen Geld betteln, um irgendwie über die Runden zu kommen? Ihr habt doch keine Ahnung, was uns blüht. Italien liegt am Boden. Die Städte sind zerstört. Noch immer sitzen uns die Deutschen und die Faschisten im Nacken. Die Regierung ist weit weg in Rom, was wissen die schon? Wersoll das alles wieder aufbauen? Zum Glück ist die Kirche da. Sie allein ist die Rettung Italiens – wie immer in finsteren Zeiten. Du solltest mir dankbar sein. Aber stattdessen kommst du hierher und brichst nachts die Tür auf wie ein Dieb …»
    Instinktiv griff Moresco wieder nach seinem Gewehr. «Oh nein, ich, wir haben Italien befreit, das ist allein unser Verdienst. Und deshalb steht es uns zu, das Land wieder aufzubauen. Während deine Gemeindemitglieder schön warm in ihren Betten schliefen, haben wir uns aneinandergeklammert wie die Schwulen, um uns zu wärmen. Und wenn die Faschisten kamen, die bis gestern noch eure Freunde waren, wurde jeder, der nicht schnell genug fliehen konnte, verprügelt, gefoltert, erschossen,
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