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Bitter im Abgang

Bitter im Abgang

Titel: Bitter im Abgang
Autoren: Aldo Cazzullo
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dass du mit der Kirche halbe-halbe gemacht hast?»
    «Wir können euch nichts geben, nicht jetzt. Wir können später darüber reden, in Ruhe. Wir werden uns schon einig, in Alba, wenn alles vorbei ist.»
    «Wir trauen euch nicht. Stimmt’s Alessandro, wir trauen euch ganz und gar nicht», rief Cesare Vergnano seinem Bruder zu. Er grinste. Das Gespräch hatte eine interessante Wendung genommen. «Wir trauen euch nicht, weil ihr Kommunist…»
    Eine Kugel durchbohrte seinen Körper, glatter Durchschuss. Cesare Vergnano fiel den Abhang hinunter wie ein Sack Kartoffeln. Ungläubig sahen sein Bruder und Moresco sich an. Dann drehten sie sich um. Da stand Alberto, das rauchende Gewehr in der Hand, mit funkelnden Augen, den Zeigefinger auf Moresco gerichtet: «Die haben Virginia umgebracht. Und du, du willst auch noch mit ihnen teilen.»

21

Alba,
Donnerstag, 21. November 1963
    «Ihr habt mich rufen lassen, Pater?»
    «Komm her, mein Sohn. Lass dich ansehen.» In diesem November spürte auch Pater Bergoglio sein Ende nahen. Antonio Tibaldi stellte fest, dass sich seit 1945 in dem Zimmer im Seminar nichts verändert hatte. Ein schmales Bett aus dunklem Holz. Eine weiche Matratze, eine von denen, in die man tief einsank, wie sie seit Langem aus der Mode waren. Ein Betstuhl mit barockem Schnitzwerk und violettem Kissen. Aus dem Flur roch es nach Minestrone, aus der Kapelle nach Weihrauch. Wer weiß, wozu Pater Bergoglio es noch gebracht hätte, wäre er im Vatikan und nicht in Alba tätig gewesen.
    «Siehst du? Als für dich die Zeit zum Kämpfen kam, hast du dich ehrenhaft geschlagen. Alle Erwartungen hast du erfüllt, mein Sohn. Daran habe ich nie gezweifelt.»
    «Aber ich habe doch fast gar nichts gemacht, Pater.
    Es gibt immer noch sehr viel zu tun …»
    «Da hast du recht. Das Beste kommt erst noch. Deshalb darfst du auch nicht leichtsinnig werden. Das Volk Gottes ist unruhig. Die Leute sind zu Geld gekommen. Sie kaufen und verkaufen. Kein Mensch wettet mehr beim Faustball, keine Geldscheine mehr für die Spieler, die sie dann in den Stutzen versteckten und gezielt danebenwarfen …»
    Pater Bergoglio brach in ein krampfhaftes Lachen aus, das mit einem Hustenanfall endete.
    «Heutzutage fahren die Söhne der Landarbeiter am Freitagabend nach Montecarlo und verspielen alles im Casino. Oder sie fahren nach Mailand, um an der Börse zu wetten, was auf dasselbe hinausläuft. Aber du, Antonio …» Mit zitternder Stimme und erhobenem Zeigefinger setzte sich der Priester im Bett auf. Tibaldi gelang es, ihn zu beruhigen. Er nahm die Hände des Geistlichen und sorgte dafür, dass er sich wieder hinlegte.
    «Ich nicht. Nach Mailand, an die Börse, nie und nimmer.»
    «Schwör’s.»
    «Das verspreche ich Ihnen, Pater.»
    «Versprechen reicht nicht. Versprechen sind wie ein Windhauch. Schwör es.»
    «Ich schwöre es, Pater.»
    «Wer an die Börse geht, ist nicht mehr sein eigenerHerr. Doch wir müssen dafür sorgen, dass die Arbeit hier bei uns bleibt. Die Leute sind zwar wohlhabender als früher, aber auch viel leichtlebiger. Wir sind eine verrückte Rasse, mit bösem Blut. Wir leben von einer geheimnisvollen Erde, von Früchten, die nur bei uns wachsen. Wir haben einen Hang dazu, morgens zu spielen oder abends seltsame Geschichten zu schreiben. Nach einer Schlucht zu suchen, um uns hinunterzustürzen und ein Ende zu machen. Und nicht immer ist jemand da, ein Priester oder ein Kind, der uns an die Hand nimmt, um uns zu beschützen.» «Aber jetzt bin ich da, Pater, um Ihre Hand zu halten.»
    «Nicht mehr lange, Antonio. Meine Tage sind gezählt. Doch von nun an kommst du allein zurecht. Du weißt, was du zu tun hast. Und vor allem, was du auf keinen Fall tun darfst.»
    «Ich weiß.»
    «Denk immer daran: Kein Wort.»
    «In Ordnung. Auch wenn die Gerüchte …»
    «Vergiss die Gerüchte. Du streitest alles ab. Oder besser noch, du schweigst. Der Herr hat dir viel gegeben, inklusive einer schweren Aufgabe. Bewahre es mit der Kraft der Verschwiegenheit, und wenn nötig mit Scheinheiligkeit.»
    «Mit Scheinheiligkeit?»
    «Ja. Scheinheiligkeit ist die Rettung der Welt, dasdürftest du inzwischen gelernt haben. Und jetzt knie nieder.»
    Antonio Tibaldi gehorchte. Pater Bergoglio legte ihm die Hände auf und segnete ihn wie ein Patriarch.

22

Alba,
Montag, 26. April 2011, 10 Uhr
    Roberto Moresco misstraute den Journalisten. Sicher, er war nicht so krankhaft reserviert wie Tibaldi, der in seinem ganzen Leben noch nie ein
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