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Bitter im Abgang

Bitter im Abgang

Titel: Bitter im Abgang
Autoren: Aldo Cazzullo
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Roberto in Sylvies Lachen ein.
    «Und du, wie viele Frauen hast du in diesem Sommer gehabt?»
    Stolz warf sich Roberto in die Brust wie ein Torero und machte die nicht gerade originelle Bemerkung: «Ich rede nicht über die Frauen, sondern mit ihnen.» Sylvie begriff, dass der Brut nicht reichen würde, damit er auftaute. Und sie richtete sich, nicht einmal ungern, darauf ein, sich zu opfern.

26

Alba,
Freitag, 22. November 1963
    «Warum bist du eigentlich mit mir zusammen?»
    «Schon wieder?»
    Wenn Vittoria so anfing, nahm es meist ein ungutes Ende. Folglich versuchte Alberto, den Spieß umzudrehen.
    «Und du, sag du mir lieber mal, warum du mit mir zusammen bist. Du bist mit einem Mann verheiratet, der reich, stark und schön ist und von allen beneidet wird. Und dann schläfst du mit einem armen Schlucker, der zu allem Überfluss zumeist noch schlecht gelaunt ist.»
    «Du weißt genau, warum. Weil ich dich liebe.»
    «Dann verlass deinen Mann und zieh zu mir.»
    «Das geht nicht, das weiß du doch am besten. Außerdem würdest du das gar nicht wollen.»
    In Wahrheit wussten weder Alberto noch Vittoria so ganz genau, ob sie sich wirklich liebten. Damals vor zwanzig Jahren, als beide nach dem Tod ihrer geliebtenVirginia plötzlich alleine dastanden, hatten sie sich zusammengetan und sich fortan aneinandergeklammert wie an eine zweite Chance. So kam es, dass sie jedes Mal, wenn die Lust abflaute, in Melancholie verfielen und den Tag heraufbeschworen, an dem sie Virginia verloren hatten. Diesmal war es Alberto, der die unvermeidliche Frage stellte.
    «Glaubst du, dass dein Mann wirklich alles getan hat, um sie zu retten?»
    «Ich glaube schon.»
    «Obwohl Virginia sich für einen anderen entschieden hatte?»
    «Für ihn war die Sache noch nicht ausgemacht, dazu war er viel zu sehr von sich überzeugt. Er dachte, er könne sie dir noch ausspannen.»
    «Und wenn er sie lieber den Faschisten überlassen hat als mir?»
    «Das will ich mir gar nicht vorstellen. Dann könnte ich keine Minute mehr an seiner Seite bleiben.»
    «Verlass ihn.»
    Da lächelte Vittoria wie ein dickköpfiges Kind.
    Schweigend sah sie zur Decke. Dann fing sie wieder an:
    «Warum bist du eigentlich mit mir zusammen?»

27

Alba,
Montag, 26. April 2011, 14 Uhr
    Alessandro Vergnano hauste immer noch in seiner alten Kellerwohnung im Zentrum. Als er den Polizeiausweis sah, zuckte er widerwillig zusammen. Der Inspektor empfand Mitleid mit diesem menschlichen Wrack. Er beschloss, sich zurückzuhalten.
    «Niemand empfängt gern einen Polizisten», sagte er mit einem freundschaftlichen Lächeln.
    Der andere reagierte nicht.
    Der Inspektor sah sich im Raum um. In Rom oder in Süditalien, dachte er, fände man solche Devotionalien – eine Duce-Büste, ein Rutenbündel, Bücher aus faschistischen Verlagen – in der Wohnung erfolgreicher Leute, bei Anwälten oder Unternehmern, bei stinkreichen Leuten. Sogar im Veneto hatte er einmal einen Produzenten kennengelernt, der beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen Millionen verdiente und trotzdem «Faccetta nera» als Klingelton auf seinem Handy hatte. Dagegen lebte Vergnano wirklichwie eine Kanalratte, und so wurde er in Alba auch behandelt. Ein ideales Profil für einen Mordverdächtigen. Ein bisschen zu ideal.
    «Ich müsste mich kurz mit Ihnen unterhalten.»
    «Gern. Ich habe sonst niemanden, mit dem ich reden könnte.»
    «Wirklich niemanden? Keinen einzigen Freund?»
    «Ich hatte einen Freund, oder vielmehr einen Nachbarn. Aber der ist schon lange tot. Doch jetzt zu Ihnen. Was wollen Sie denn wissen?»
    «Etwas über Moresco.»
    «Er war Kommunist. Also kein anständiger Mensch.»
    «Haben Sie ihn gekannt?»
    «Wen?»
    «Diesen Kommunisten, Moresco.»
    «Natürlich habe ich ihn gekannt. Einmal habe ich sogar auf ihn geschossen. Aber nicht, um ihn zu töten. Hätte ich noch mal die Gelegenheit, würde ich tiefer zielen.»
    «Hat Moresco damals einen Teil der Kriegsbeute der Vierten Armee bekommen?»
    «Keine Ahnung. Mein Leben lang warte ich schon darauf, dass diese Geschichte an die Öffentlichkeit kommt. Aber sie haben es geschafft, alles geheim zu halten.»
    «Aber wenn Sie ihn nicht töten wollten, aus welchem Grund haben Sie denn sonst auf ihn geschossen?»
    «Weil damals gemunkelt wurde, er hätte den Schatz. Mein Bruder und ich sind hingegangen und haben unseren Anteil für die Familien der Gefallenen verlangt. Aber sie haben behauptet, uns stünde nichts zu. Da waren wir schon auf der falschen Seite.
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