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Bisduvergisst

Bisduvergisst

Titel: Bisduvergisst
Autoren: Friederike Schmöe
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Darum ist es ja gut, wenn sie jetzt tot ist, die Julika. Endlich Ruhe.
    Irgendwie hat sie herausgefunden, was wirklich passiert ist. Dass der Gustav die Lisa auf dem Gewissen hat und die Irma sich ihr Leben lang umsonst die Schuld an Lisas Tod gegeben hat. Die Julika hat in dem alten Forsthaus spioniert. Plötzlich habe ich Angst gekriegt. Mord verjährt doch nicht.
    Also bin ich ihr nach. Habe sie an der Bergstraße aufgehalten. Ich habe sie gefragt, was sie vorhat. Sie hat mir alles gesagt, hat mich angeschrien. Währenddessen ist sie vor mir hergelaufen, hinauf zur Burg. Sie hat mir vorgeworfen, Leute wie wir, der Gustav und ich, wir wären an der Krankheit von der Irma schuld. Wir hätten sie ins Vergessen getrieben. Weil die Irma den Gedanken nicht ertragen konnte, dass sie selbst die Lisa umgebracht hat. Deswegen musste sie einfach vergessen, und jetzt wäre sie krank.
    Mag sein, dass das stimmt. Vielleicht war das so. Und in dem Augenblick habe ich gedacht: Wenn die Julika den Gustav damit konfrontiert, der gibt alles zu. Nur damit Frieden ist. Der Gustav und ich, wir sind alte Leute, wir leben ja nicht mehr lang. Soll er denn in diesem Leben noch bezahlen?
    Wir standen da, die Julika und ich, und plötzlich kamen ein paar Gaukler in der Nähe vorbei. Und ich habe die Julika gebeten, leise zu sein. Damit die uns nicht hören. Die Julika bekam Angst. Mein Gott, diese Ähnlichkeit mit der Lisa! Fast wie ihre Zwillingsschwester sah sie aus. Und plötzlich ist es passiert. Ich habe die Julika gepackt und ihr den Mund zugehalten. Sie hat sich gewehrt, sie war kräftig, kräftiger als ich, aber sie ist über ihr Kleid gestürzt, lag mit der Nase in der Pfütze. Ich habe mich auf sie gestellt. Sonst hätte ich das nicht geschafft. Habe mich einfach auf ihren Nacken gestellt. Ein paarmal nachgetreten. Das war es dann. Meine Mutter hat oft gesagt, dass ein Übel das nächste sät, und wenn man für das erste nicht bezahlt, das man angerichtet hat, dann wird man später für viel mehr bezahlen. Aber so ist es dann eben.
    Unterzeichnet Gerda Kirchler.

75
    Irma legt sich auf ihr Sofa. Sie ist müde. So müde. Plötzlich ist alles leicht. Sie hat der Frau mit dem Pferdeschwanz alles erzählt. Nun weiß sie: Julika wird alles erfahren. Mit ihren eigenen Worten. Julika wird erfahren, dass ihre Großmutter Lisa nicht töten wollte.
    Irma nickt ein. Träumt von einem Baum, dessen Stamm sich spaltet. Sie schreckt hoch. Hat das Gefühl, dieser Traum gehöre ihr nicht. Ruft Julikas Namen. Schläft wieder ein. Etwas juckt an ihrem Fuß. Da zupft ein Vogel an ihren Zehen. Doch als sie aufschaut, erschöpft, umschwirrt nur eine Schmeißfliege ihren Körper. Irma lächelt. Sie ist zeit ihres Lebens verlassen worden. Von ihrer Mutter. Von ihren Männern. Sogar von ihrer Tochter. Aber Julika ist zu ihr zurückgekommen. Steht sie da nicht? Irma hebt den Kopf, sieht auf die Uhr. Gleich 19.30 Uhr. Gleich beginnt das Fest- und Tanzspiel im Rathaus-Prunksaal. Irma hat es, so scheint es ihr, Hunderte von Malen gesehen. Stets mit der Braut, der jungen Hedwig aus Polen, mitgelitten. Was für eine beschwerliche Reise sie hatte, zu einem Bräutigam, den sie nicht kannte, Pest und Tod trotzend.
    Irmas Kopf rutscht auf die Armlehne zurück. Sie schließt die Augen. Heute ist sie zu müde, um zum Rathaus zu gehen.

     

Sonntag, 5.7.09
    erinnern – mittelhochdeutsch (er)innern, inren ist abgeleitet von althochdeutsch innaro ›der Innere, innerer‹ und bedeutet ursprünglich ›machen, dass jemandem etwas inne wird‹.
    (Nach Kluge, Etymologisches Wörterbuch
der deutschen Sprache)

76
    Ich legte die Papiere weg. Das Fenster stand weit offen. Es war später Nachmittag. Endlich hatte ich alle Dokumente unterzeichnet, der Bürokratie war gedient. Draußen wurden die Überbleibsel des Hochzeitszuges weggeräumt. Ich hörte Müllautos, das Klappern von Absperrzäunen, die weggeschleppt wurden. Männerstimmen, die einander Befehle zuriefen. Die Landshuter Hochzeit war an mir vorbeigegangen, bisher jedenfalls. Den Huldigungsruf ›Himmel Landshut, tausend Landshut!‹ hatte ich nur von Weitem gehört. Mit einem Mal wollte ich dort hinauslaufen. Mich unter die Leute mischen, kostümiert oder nicht, und mich mit dem richtigen Leben verbünden, mit dem Leben, das gerade stattfand. Das keine Erinnerung war.
    Nero klappte die Landshuter Zeitung zu. Irmas Todesanzeige stand unter der für Julika. Elizabeth Cohen fand das praktisch. Irma hätte es
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