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Bisduvergisst

Bisduvergisst

Titel: Bisduvergisst
Autoren: Friederike Schmöe
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erinnere mich nicht genau. Die Lisa bekam schreckliche Angst. Sie wurde ganz hysterisch. Ich habe gedacht, wenn sie anfängt zu schreien, dann findet uns der Neugruber, dann hänge ich mit drin, der drückt schneller ab, als er denken kann. Die Irma hat gemerkt, in welche Gefahr die Lisa uns bringt. Sie hat der Lisa den Kopf gehalten. Aber die Irma war schwach. Sie hatte Fieber, war ausgehungert, vollkommen am Ende. Da habe ich die Lisa festgehalten. Habe mich auf sie gewälzt und ihren Kopf in die Pfütze gedrückt. Ich habe aber nicht gemerkt, dass da eine Pfütze war. Es war ja dunkel! Ich war nur froh, als sie still war. Ich wollte sie nicht töten! Ich wollte nur nicht, dass der Neugruber uns aufstöbert. Erst, als ihr Körper schlaff wurde, als sie sich nicht mehr aufgebäumt hat, da habe ich gedacht, dass was nicht stimmt. Die Irma hat sich auch nicht mehr gerührt. Sie war bewusstlos. Da habe ich gemacht, dass ich wegkam. Hab mein Gewehr geschultert und bin ab. Bin zum Neugruber gestoßen und hab mich anschreien lassen, dass ich die wertvolle Munition vergeudet habe und nicht mal ein Langohr dabeihabe. Ich war ganz zerknirscht, und da hat er mich in Ruhe gelassen. Er hat gedacht, ich wäre windelweich, weil ich kein Kaninchen erlegt habe, und das war gut, und in dem Glauben habe ich ihn ein Leben lang gelassen.
    Und dass die Irma gedacht hat, sie hätte die Lisa umgebracht, dafür konnte ich nichts. Was hätte ich denn tun sollen? Die Wahrheit hätte die Lisa nicht wieder lebendig gemacht.
    Irgendwann kam dieser Mensch daher, dieser Kreuzkamp. Der hat in allem herumgerührt. Die ganze Vergangenheit hat er aufgekocht. Wo wir, die Gerda und ich, doch so froh waren, dass sie endlich unter dem Teppich war. Da wollten wir sie auch nicht wieder hervorholen. Dann hat der Kreuzkamp auch noch eine Frau angeschleppt. Als Erbenermittlerin hat sie sich ausgegeben, aber das war keine gute Idee. Die habe ich gleich durchschaut, die war von derselben Zunft wie der Kreuzkamp. Schmierfinken, alle miteinander. Aber der Wahrheit kam sie trotzdem gefährlich nah. Der wollte ich einen Schock versetzen. Einen Schuss vor den Bug. Sollte nicht böse enden. Ich habe den Kuznick gefragt. Der Kuznick macht alles. Ich kenne ihn ja als Hochzeiter. Hat sich bis zum Knappen vorgearbeitet. Einer, der wenig Skrupel hat, wenn es darauf ankommt. Und er hat es dieser Tante ja auch gezeigt.
    Unterzeichnet Gustav Kirchler.

74
    Man möchte nur vergessen. Nichts als vergessen. Ein Leben lang. Glücklich ist, wer vergisst. Erinnerung tut weh. Ein Stachel im Fleisch. Das ist so ein Bild, das mich überzeugt hat. Etwas tut weh, aber du wirst es nicht los. Du kapselst es ab und vergisst es. Und du bist frei.
    Natürlich kannte ich die Irma schon, als ich jung war. Irma ist eine Nette, vielleicht manchmal ein bisschen forsch. Sie hat viel für unsere Stadt getan. Mit ihr kam ich aus. Mit der Lisa allerdings nicht.
    Die Lisa aus München! Was hat die sich eingebildet! Wer sie ist und wie wunderbar sie ist. Weil sie aus München stammte. Die Irma war ihre große Liebe. Wie eine Schwester! Irma und Lisa. Damals hat man darüber nicht geredet. Heute würden alle sagen, die waren lesbisch. Aber ich bin sicher, das waren sie nicht. Sie hingen nur aneinander. Die Lisa hat den Vater verloren und die Irma hatte nie einen. Diesen Despoten kann ja wohl keiner einen Vater nennen! Der Alte hat beim Rasieren seinen Kunden das Messer an den Hals gedrückt und ihnen gedroht, wenn sie dies und das nicht tun, dann … einem hat er mal den Rasierpinsel in den Mund gestopft und ihn fast ersticken lassen. Der hatte sie nicht mehr alle.
    Die Mütter waren auch nicht da. Körperlich waren sie anwesend, aber die haben uns Kinder nicht in die Arme genommen oder sich für unsere Gefühle interessiert. Meine war genauso. Die meinten es nicht böse. Die konnten nicht anders! All die Sorgen, die Ehemänner weg, tot, vermisst oder Tyrannen. Da haben wir Kinder uns die Liebe woanders geholt. Die Irma hat die Lisa immer beschützt. Ich war wütend. Ich hätte die Irma nämlich auch gern zur Freundin gehabt. Um ehrlich zu sein: Ich war eine ganze Weile ihre Freundin. Irmas beste Freundin. Wir haben alles gemeinsam gemacht. Steckten ununterbrochen zusammen, bis die Lisa auftauchte. Da war ich dann abserviert. Plötzlich war ich für die Irma einfach nicht mehr interessant! Ich war so ein Krisperl. Ein dünnes, schwächliches Mädchen. Bei dem Hunger und dem Mangel an allem im Krieg,
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