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Bis zur letzten Luge

Bis zur letzten Luge

Titel: Bis zur letzten Luge
Autoren: Richards Emilie
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erklären, was mir vorschwebt, und dann sehen wir, ob wir uns einigen können. Zuerst einmal möchte ich Ihnen sagen, dass ich mir bewusst bin, was für eine seltsame Bitte es ist. Die Welt wartet nicht gerade in atemloser Spannung auf die Veröffentlichung meiner Lebensgeschichte.“
    „Ich bin mir sicher, dass Sie ein interessantes Leben hatten.“
    „Wie nett von Ihnen, so taktvoll zu sein. Aber die Wahrheit ist, dass ich weiß, dass der Markt für die Geschichte meines Lebens eher begrenzt ist.“
    „Wie begrenzt?“
    „Enger als Sie glauben. Das ist ein privates und sehr persönliches Projekt. Ich habe nicht die Absicht, irgendjemandem außerhalb der engsten Familie eine Kopie des Manuskripts zukommen zu lassen, wenn Sie fertig sind.“
    „Das begrenzt vor allem meine Tantiemen, meinen Sie nicht?“
    „Es wird keine Tantiemen geben. Ich werde Ihnen einenFestbetrag zahlen.“ Sie machte eine Pause. „Die Höhe können Sie selbst bestimmen.“
    „Ich dachte, Sie wären Geschäftsfrau.“
    „Ich bin eine alte Frau, die sich die Erfüllung dieses Traumes sehr wünscht.“
    „Warum?“
    „Ich denke, dass Sie die Antwort auf diese Frage kennen werden, wenn wir fertig sind.“
    Er sagte nicht Nein, doch er sagte auch nicht Ja. Er sah sie an, als könnte er die Antwort per Telepathie herausbekommen. „Ich werde im nächsten Monat öfter nicht in der Stadt sein. Ich berichte über die Aktivitäten zur Wählerregistrierung in Alabama. Was meinen Sie, wie lange das Projekt dauern wird?“
    „Ich weiß es nicht. Ich werde schnell müde, und ich bin alt. Es gibt so viel zu erzählen.“
    „Nach allem, was Sie mir bisher gesagt haben, können Sie die Geschichte auch mit einem Tonbandgerät aufnehmen.“
    „Nein, da liegen Sie falsch. Ich werde Ihre Hilfe brauchen. Ich kann das keiner Maschine erzählen. Ich brauche jemanden mit Ihrer Intelligenz und Ihrem Verständnis …“
    „Hören Sie, Mrs Gerritsen – Sie brauchen mich nicht. Ich weiß nicht, warum Sie angerufen haben, und ich weiß nicht, worum es hier eigentlich geht, aber ich bin ein Schwarzer. Und egal, welche Maßstäbe man in dieser Stadt anlegt – inklusive meiner eigenen –, ich bin der Falsche für den Job.“
    „Ich brauche Sie. Ich habe Ihre Interviews gelesen. Sie sind einzigartig. Menschen erzählen Ihnen Dinge, die sie sonst niemandem anvertrauen würden. Sie wissen, wie Sie an die Informationen kommen, die sie zurückhalten.“
    „Warum sollten Sie mir gutes Geld bezahlen, um dann Informationen zurückzuhalten?“
    „Weil ich einen Großteil meines Lebens mit einer Lüge verbracht habe, und manchmal bin ich mir nicht sicher, wodie Wahrheit zu finden ist.“
    Seufzend schüttelte er den Kopf. Doch Aurore wusste, dass er nicht ablehnen würde. Er hatte eine andere Entscheidung getroffen, und das ärgerte ihn bereits. „Fünftausend Dollar“, sagte er schließlich. „Und eine Art Versprechen, dass das alles hier am Ende einen Sinn ergibt.“
    „Ich werde Ihnen beim nächsten Treffen den Scheck geben.“
    Er stand auf. „Das nächste Treffen findet morgen statt. Je eher wir beginnen …“
    „… desto eher sind wir fertig.“ Sie nickte und erhob sich ebenfalls. Sie wünschte, sie hätte ihren Gehstock, aber sie hatte nicht gewollt, dass Phillip sie damit sah. Sie hatte stärker wirken wollen, als sie war.
    Sie streckte die Hand aus, und er schüttelte sie. „Ist zehn Uhr zu spät für Sie?“, fragte sie.
    „Zehn Uhr ist in Ordnung.“
    „Dann freue ich mich schon auf morgen.“
    Er nickte und verabschiedete sich höflich. Dann war er verschwunden.
    Sie zählte die Lügen, die sie ihm bis jetzt bereits erzählt hatte. Die letzte war die schwerwiegendste gewesen. Sie freute sich nicht auf morgen.
    Sie freute sich ganz und gar nicht auf morgen.

2. KAPITEL
    P hillip verließ den Garden District und fuhr nach Norden zum Club Valentine . Seine Mutter hatte den Jazzclub berühmt gemacht. Es war noch früh, und Nicky war vermutlich gerade bei der Probe. Er wollte mit ihr reden, und er wollte damit nicht warten, bis der Club voll war.
    Er stellte den Wagen einige Blocks von der Basin Street entfernt ab und schlenderte an Reihen von weiß gestrichenen Holzhäusern vorbei. Von den Veranden und aus offenen Fenster lieferten sich die Four Tops und die Supremes einen musikalischen Wettstreit. Junge Mädchen in kurzen bunten Röckchen tanzten auf den Bürgersteigen Twist und Watusi. Jemand kochte mitten auf einer Auffahrt in einem alten
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