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Bis zur letzten Luge

Bis zur letzten Luge

Titel: Bis zur letzten Luge
Autoren: Richards Emilie
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auch dort in Mode gekommen, und Schwarze aus Amerika waren willkommen. Er gab Nicky als seine Enkeltochter aus. Sie sei irgendwo auf dem Land zur Welt gekommen und besäße deswegen keine Geburtsurkunde, erklärte er. Es war nicht besonders schwer, die Behörden davon zu überzeugen. Clarence war überzeugt, dass ihr Leben in Gefahr war, schließlich hatte sie die Männer gesehen, die ihren Vater ermordet hatten. Deshalb nahm sie seinen Namen an und lebte seitdem mit dieser Lüge.“
    „Clarence muss ein guter Mensch gewesen sein.“
    „Nicky hat ihn geliebt, als wäre er ihr richtiger Großvater.“ Aurore wandte sich ihm zu. Ihre Augen glänzten. „Ich dachte, deine Mutter wäre tot, Phillip. Erst nach vielen Jahren habe ich herausgefunden, dass sie noch lebt. Ich dachte, sie wäre in dem Feuer umgekommen, das in der Nacht ausgebrochen ist.“
    „Haben Sie ihr Leben in Chicago weiterverfolgt? Hat sie jemand für Sie beobachtet? Wussten Sie deshalb von dem Feuer?“
    „So ungefähr.“ Sie ergriff seine Hand. Er wehrte sich nicht dagegen, doch er nahm deutlich die Unterschiede zwischen ihnen war. „Mein Anwalt hat Rafe damals für mich ausfindig gemacht. Weißt du, ich hatte mich entschlossen, zu ihm zu ziehen.“
    Er starrte sie an.
    „Ja.“ Sie nickte. „Eigentlich dachte ich, dass nach Rafe und Nicolettes Abreise aus New Orleans zwischen uns alles vorbei wäre. Aber ich spürte trotzdem immer eine Verbindung zu ihnen. Jeden Morgen nach dem Aufwachen konnte ich nur daran denken, was ich verloren hatte. Mein Leben mit Henry war eine einzige Farce. Ich bemühte mich, alles aufrechtzuerhalten und einfach weiterzumachen, aber es ging einfach nicht mehr. Ich konnte nicht. Nicht solange mir klar war, dass etwas Besseres auf mich wartete – sofern ich nur endlich meinen Mut zusammennahm und diese Chance ergriff. Also schrieb ich Rafe einen Brief und fragte ihn, ob ich zu ihm kommen dürfe. Ich wollte Hugh mitnehmen und verschwinden. Ich war bereit, alles bis auf meinen Sohn zurückzulassen. Gulf Coast. Meine Ehe und die Kirche. Alles. Und wenn ich es sicher nach Chicago geschafft hätte, wollte ich mit Rafe nach Paris gehen. Schließlich sprachen wir beide fließend Französisch. Ich hatte mir vorgestellt, dass wir dort ein völlig neues Leben als Familie führen würden. Dass uns dort zumindest Toleranz entgegengebracht würde, wenn uns Akzeptanz verwehrt blieb. Ich schrieb ihm und flehte ihn in dem Brief schamlos offen an, mich zu ihm kommen zu lassen. Dann wartete ich.“
    „Haben Sie jemals eine Antwort erhalten?“
    Sie schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, ob er meinen Brief nie erhalten hat oder es bloß nicht über sich bringenkonnte, Nein zu sagen. Das nicht zu wissen hat mich mein ganzes Leben lang verfolgt.“ Sie seufzte. „Zwei Wochen nachdem ich den Brief aufgegeben hatte, suchte Spencer mich auf und erzählte mir, dass Rafe in den Unruhen umgekommen sei. Spencer hatte eingehend nachgeforscht und herausgefunden, dass deine Mutter nie wiedergesehen wurde, nachdem das Feuer den gesamten Stadtteil zerstört hatte. In den Ruinen waren Leichen gefunden worden, die nicht identifiziert werden konnten …“
    So viele Jahre waren seitdem vergangen, und trotzdem konnte Phillip die Tränen in ihrer Stimme hören.
    Phillip hielt Aurores Hand fest. Er wollte ihr Trost spenden – dieser Frau, die so viele schreckliche Fehler gemacht hatte. Dieser Frau. Seiner Großmutter.
    „Warten Sie …“ Er drückte ihre Finger. „Mrs Gerritsen …“
    „Du wirst es niemals über dich bringen, mich Aurore zu nennen, oder?“
    „Mein Großvater …“ Er bemerkte, dass ihm diese Bezeichnung locker über die Lippen ging, und fuhr fort: „… hat Ihren … hat deinen Brief bekommen. Da bin ich mir ganz sicher. Und er hat bereits Pläne geschmiedet – für die Zeit, wenn du zu ihm kommen würdest.“
    „Was meinst du damit?“
    Phillip dachte sorgfältig darüber nach, was Nicky zu ihm gesagt hatte. Ihr letztes Zusammensein mit ihrem Vater war ihr so klar in Erinnerung geblieben. Sie hatte sich daran festgehalten, genau wie Rafe sich an seiner Erinnerung an Marcelite und Angelle und ihren Tod festgehalten hatte. Und als Nicky ihm von Rafes Tod erzählt hatte, hatte sie diesen Tag in sämtlichen Einzelheiten geschildert.
    „In der Nacht, in der mein Großvater starb, sagte er meiner Mutter, dass sie Chicago für immer verlassen würden. Dass sie an einen Ort gehen würden, an dem sie endlichglücklich sein
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