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Bis zur letzten Luge

Bis zur letzten Luge

Titel: Bis zur letzten Luge
Autoren: Richards Emilie
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Das ist nicht deine Familie.“
    „Es sind gute Menschen.“
    „Da bin ich mir sicher. Ich will ja nur verstehen, was hier passiert.“
    „Warum sollte das wichtig sein?“
    Er blieb stehen und brachte auch sie dazu, anzuhalten. „Es ist wichtig, weil du mir wichtig bist.“
    Sie betrachtete sein Gesicht. Offensichtlich war ihr seine Antwort längst nicht genug. „Ich wollte Geld sparen.“
    „Wenn du so knapp bei Kasse gewesen bist, hättest du mir Bescheid sagen sollen.“
    „Wozu?“ Sie setzte sich wieder in Bewegung und lief den Bürgersteig entlang.
    Er versuchte, aus ihren Antworten schlau zu werden. Sie erschien ihm nicht feindlich gesinnt oder desinteressiert – obwohl all ihre Erwiderungen mit leicht veränderter Betonung genau danach geklungen hätten. Stattdessen wirkte sie, als wollte sie dieses Gespräch möglichst schnell hinter sich bringen. Sie war so stark darauf konzentriert, was sie sagte, dass in ihrer Stimme keine Gefühle mitschwangen.
    Als sie eine Ecke erreichten, hörte er den vertrauten Gesang. „Komm mit. Hier entlang.“ Er zog sie mit sich, ab von der Claiborne Avenue, auf den Klang zu.
    „Ich muss zurück.“
    „Komm mit mir, Belinda. Ich habe heute Morgen schon zwei Stämme gesehen, und ich würde so gern auch diesen sehen.“
    „Was weißt du denn schon über die Indianer?“
    „Ich weiß gar nichts über sie. Ich habe sie heute zum ersten Mal erlebt.“
    „Warum interessierst du dich dafür?“
    Deutlich hörte er den Zweifel in ihrer Stimme. „Ich weiß es nicht.“ Er wusste es wirklich nicht. Er war Journalist, kein Soziologe. Und ihm war klar, dass Artikel über das kulturelle Leben der Schwarzen mit Sicherheit keinen reißenden Absatz finden würden.
    „Findest du es albern?“, fragte sie.
    „Albern? Nein.“ Er zog sie hinter sich her. Der Gesang wurde immer lauter. „Ich finde es unglaublich. Ich verstehe esnicht. Warum ziehen sie sich so an?“
    „Das tun sie bereits seit vielen Jahren. Was du hier siehst, ist unser Mardi Gras. Nicht der Mardi Gras der Weißen, der überall bekannt ist. Indianer und Schwarze haben vieles gemeinsam. Die Indianer haben Sklaven auf der Flucht geholfen, sie in den Sümpfen versteckt und sie beschützt. Sie wussten schließlich genau, was es bedeutete, verfolgt zu werden. Manche Menschen glauben, dass sich daraus die Mardi-Gras-Stämme entwickelt haben – als Zeichen von Respekt. Aber im Grunde spielt das gar keine Rolle. Denn das hier, das sind wir. So wie wir sind. Das ist die Kultur, die du nicht verstehst und zu der du nicht gehören willst.“
    „Du bist böse auf mich.“
    „Nein.“
    „In der Nacht im Club … Als ich meinte, dass ich hier nicht zu Hause bin, wollte ich damit nicht sagen, dass ich dich nicht will.“
    Sie sah ihn an und löste ihre Hand aus seinem Griff. Ihr Blick blieb fest auf ihn gerichtet. „Du willst mich nicht, Phillip. Du willst das, was du mit mir gehabt hast. Du willst, dass ich da bin und auf dich warte, wann immer du für eine Weile zurückkommen möchtest.“
    „Aber ich muss doch reisen. Ich muss da sein, wo Nachrichten entstehen. Tatsächlich muss ich übermorgen nach Alabama. Deshalb wollte ich die Sache mit dir vor meiner Abreise klären.“
    „Hier geht es nicht um deinen Job, und das weißt du genau.“
    „Worum geht es denn sonst?“
    „Es geht darum, ein Teil von etwas zu sein. Und du hast keine Ahnung, wie du das anstellen kannst. Vielleicht wirst du es nie begreifen.“
    „Ich dachte, du und ich, wir wären gemeinsam ein Teil von etwas.“ Während er die Worte aussprach, fiel ihm auf,dass er so etwas nie zuvor gesagt hatte.
    Sie schüttelte den Kopf. „Du hältst Abstand. Du stehst für dich allein da und beobachtest. Genau das wirst du auch in Alabama tun, was immer dort vor sich geht. Sobald dir irgendetwas nahegeht, besteigst du den nächsten Bus oder das nächste Flugzeug. Wenn man das oft genug so macht, fühlt man irgendwann gar nichts mehr. Und mit dir ist das vielleicht schon geschehen.“
    Während er nach einer Antwort suchte, ging sie langsam um ihn herum und verschwand in der Menge. Die Menschen strömten vorwärts, um die Indianer zu sehen, die gerade um die Ecke bogen. Er wollte ihr folgen, doch die Massen trennten ihn sofort von ihr.
    Gegen seinen Willen wurde er von der begeisterten Menge mitgerissen. Der Rhythmus, derselbe beständige, eindringliche Rhythmus seit dem Morgen, schien noch intensiver zu werden. Es war mittlerweile ein Dröhnen, dumpf,
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