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Bis zur letzten Luge

Bis zur letzten Luge

Titel: Bis zur letzten Luge
Autoren: Richards Emilie
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Südstaaten, durchaus angemessen war – aber sonst nirgendwo auf der Welt. Ungefähr fünfzehn Meter entfernt, an der Grenze zu Mrs Gerritsens Grundstück, lehnte er an einem Eisenzaun.
    Phillip reagierte nicht auf das Winken des alten Mannes. Er sprach gerade laut genug, um gehört zu werden. „Ich nehme an, dass Sie mit mir sprechen?“
    Der Mann wies auf eine andere Pforte an der Seite des Gebäudes. „Der Dienstboteneingang ist hinten, Nigger.“
    „Ist das so? Ich werde mich daran erinnern, wenn ich jemals einen weißen Boy anheuern sollte, um Besorgungen für mich zu erledigen.“ Phillip öffnete das Tor, ging hindurch und schloss es sorgfältig hinter sich. Dann schlenderte er den Weg entlang und klingelte an der Haustür.
    Aurore hatte keinen Appetit gehabt. Im Esszimmer hatte sie in ihrem Fisch und der gefüllten Chayote herumgestochert, wie sie es schon als kleines Mädchen getan hatte. Und genauwie damals war sie von einer jungen Frau ausgeschimpft worden, die gekommen war, um den Tisch abzuräumen. Ihr war schon lange klar, dass das Leben ein Kreislauf war. Das Alte und das Junge lagen auf der Kreislinie näher beieinander, als sie geglaubt hatte. Sie hoffte nur, dass sie starb, ehe sie so hilflos wie ein Kleinkind war.
    Sie trug ein blau gemustertes Kleid und eine einreihige Perlenkette. Der vordere Salon, in dem sie nun auf Phillip Benedict wartete, war nicht ihr Lieblingszimmer. Vor langer Zeit hatte sie ihn mit Möbeln aus ihrem Elternhaus eingerichtet – wuchtigen dunklen Möbelstücken aus einer Zeit, in der Tische und Stühle noch gebaut wurden, um für immer zu halten. Und das taten sie leider auch. Aurore war nie gut darin gewesen, sich von den Lasten der Vergangenheit zu trennen.
    Die Türklingel ging, und sie ergriff die Armlehnen ihres Sessels. Sie hatte Lily, ihre Haushälterin, angewiesen, Phillip hereinzuführen. So gelassen, wie sie konnte, wartete sie auf die beiden, während die Sekunden sich wie Stunden hinzuziehen schienen.
    Endlich erschien Lily. Ihr folgte ein großer Mann mit ruhigen dunklen Augen. Er sah sich zuerst kurz im Zimmer um, bevor er ihr seine Aufmerksamkeit zuwandte.
    Sie wollte ihn begrüßen, doch sie brachte kein Wort über die Lippen. Obwohl es ihr nicht leichtfiel, hatte sie sich erhoben. Auf keinen Fall wollte sie Phillip Benedict wie eine Grande Dame in einem schlechten Kostümfilm im Sitzen empfangen.
    „Mrs Gerritsen?“
    Sie streckte die Hand aus. Als er sie ergriff, verschwand ihre Hand in seiner beinahe. Dunkel und hell. Jung und alt. Stark und zerbrechlich. Die Kontraste überwältigten sie, und einen Moment lang spielte sie mit dem Gedanken, ihm zu sagen, dass sie es sich anders überlegt hätte. Sie konnte es nicht.
    Irgendwie schien er ihre Verwirrung zu spüren. Er lächeltenicht – sie bezweifelte, dass er das überhaupt besonders oft tat. Mit Bedacht zog er seine Hand zurück, stand einfach vor ihr und gab ihr die Zeit, sich wieder zu sammeln.
    „Ich bin froh, dass Sie gekommen sind“, sagte sie schließlich. „Ich wollte Sie schon lange einmal kennenlernen.“
    „Tatsächlich?“ Er klang skeptisch.
    „Ich bewundere Ihre Arbeit schon lange.“
    „Das überrascht mich. Ich bin hier in der Gegend nicht besonders bekannt.“
    „Sie sind hier nicht so bekannt wegen der Themen, über die Sie schreiben. Dies ist eine Stadt, die sich viel einbildet … auf sich selbst.“
    Er schien sich ein wenig zu entspannen. „Wenn der Rest der Welt verschwinden würde, würde New Orleans es vermutlich kaum bemerken.“
    „Möchten Sie eine Tasse Kaffee, Mr Benedict? Und meine Köchin hat mir eine Nachspeise versprochen.“
    „Im Augenblick nicht, danke.“
    Sie wünschte sich, er hätte Ja gesagt. Sie hätte die Zeit gern genutzt, um sich daran zu gewöhnen, ihn hier zu haben. Vieles konnte man bei einer Tasse Kaffee besprechen, das sich sonst seltsam albern angehört hätte.
    „Dann lassen Sie uns dort Platz nehmen.“ Sie wies auf ein Sofa vor dem Fenster. „Ich würde Sie gern ein bisschen näher kennenlernen, ehe ich Ihnen erzähle, warum ich Sie hergebeten habe.“
    „Ein Vorstellungsgespräch? Ich kann Ihnen eigentlich jetzt schon sagen, dass ich den Job nicht übernehmen werde.“
    Sie lächelte. „Kein Vorstellungsgespräch. Ich bin mir absolut sicher, dass Sie derjenige sein sollen, der meine Geschichte aufschreibt. Und ich hoffe, dass Sie sich von mir überzeugen lassen.“ In seinen Augen sah sie Neugierde, aber auch angeborene Vorsicht.
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