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Bis ins Koma

Titel: Bis ins Koma
Autoren: Brigitte Blobel
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DR-Logo vorbeigeht,
überlegt er, ob es ein gutes Omen ist, dass die 9 a auch seine Schulklasse ist.
    Leute, die Filmkulissen auf Karren vor sich herschieben oder mit riesigen Kabelrollen auf Pick-ups herumkurven, beachten ihn nicht. Es wimmelt von Leuten, die alle furchtbar beschäftigt tun, obwohl man nicht auf den ersten Blick erkennt, warum sie so wuseln.
    Alle außer Marvel scheinen jedoch genau zu wissen, wohin sie müssen. Marvel geht an einer Glaswand vorbei, endlos lange. Durch die Scheiben kann er in den Kantinenraum blicken. Er sieht Köche in weißen Jacken hinter einem endlosen Tresen, er sieht eine Salatbar, eine Küchentheke, er sieht Leute an Tischen, die Espresso trinken und heftig miteinander diskutieren. Dann rempelt er plötzlich mit jemandem zusammen, der das Gesicht eines Greises und die Figur eines fünfzehnjährigen Jungen hat. Ziemlich schräg. Der Greis grinst und dabei merkt Marvel, wie die dicke Make-up-Schicht sich kräuselt. Cool macht er dem Freak Platz. Ein pinkfarbenes Cadillac Cabrio gleitet an ihm vorbei und gleich danach ein Bonzenwagen, gepanzert, mit getönten Scheiben. Sieht nach Politiker aus, denkt Marvel. Da weiß er noch nicht, dass auch große Filmproduzenten gern solche Autos fahren.
    Das Studio 9 A entpuppt sich als riesiger fensterloser Container aus Aluminium. An der Tür steht: Coole Zeiten. - Eine Multimedia Produktion.
    Als Erstes gelangt er in einen neonbeleuchteten Gang, von dem lauter Zimmer abgehen. Über einer Tür brennt eine rote Lichtleiste, und als Marvel näher kommt, sieht er, dass »Achtung! Ruhe, bitte! Wir drehen!« auf der Leiste steht.
    Marvel geht auf Zehenspitzen vorbei, bis er zu der Tür mit dem provisorischen Schild »Casting« kommt.
    Die Tür steht halb offen. Im Raum herrscht Hektik. Man
schickt ihn weiter durch einen anderen Gang mit anderen Türen. Leute rennen ihn fast über den Haufen, einmal stolpert er über ein Kabel. Dann geht plötzlich das Licht aus und jemand brüllt: »Nein!!! Nicht schon wieder.« Sekunden später geht das Licht wieder an.
    Es dauert, bis Marvel endlich die Assistentin gefunden hat, die Nummern und Texte verteilt. Er hat sich das alles irgendwie organisierter vorgestellt. Dann dauert es noch, bis die Assistentin ihr Telefongespräch beendet und seinen Namen auf einer Liste gefunden hat. Marvel riskiert einen Blick auf die Liste. Da stehen mindestens zwölf Namen untereinander! Wollen die etwa alle die gleiche Rolle? Wieso hat dieser Ringelstrumpf ihm dann das Gefühl gegeben, als habe das ganze Studio nur auf ihn, Marvin Keller, gewartet? Sein Selbstbewusstsein sinkt schneller, als ein Stein in einen Brunnenschacht plumpst.
    »Ist Wanda vielleicht da?«, fragt er.
    »Nicht vielleicht, sondern ganz bestimmt«, erwidert die Assistentin fröhlich, »aber frag mich nicht, wo. Hier ist heute die Hölle los.«
    Marvel wollte auch nicht fragen.
    »Wir hinken sowieso schon dem Drehplan hinterher«, erklärt die Assistentin, »und die Regie ist komplett genervt, weil sie das hier nun auch noch durchziehen muss.«
    »Das hier«, das ist offenbar das Casting. Sein Casting - Marvel versucht, das sportlich zu nehmen. Was soll er auch sonst tun. Er nickt und heuchelt Verständnis.
    Die Assistentin gibt Marvel einen DI N-A4-Bogen. »Das musst du auswendig können. Ist nicht viel Text. Ein Dialog aus einer Szene mit deiner Halbschwester. Du bist Max und sie ist Jule. Alles klar? Du lernst die Textstellen von Max auswendig. Verstanden?«
    Marvel will sagen: Ich bin ja nicht blöd, aber das schluckt er
lieber runter. Er rollt das Papier zusammen und schaut sich um. Kein Stuhl, nur unausgepackte Kartons und Berge von ausgedruckten Drehbüchern. Auf dem Deckel steht jedes Mal: Coole Zeiten. Und darunter in verschiedenen Farben verschiedene Codes, mit denen Marvel nichts anfangen kann.
    »Okay«, sagt Marvel. »Wo soll ich jetzt hin?«
    Die Assistentin führt ihn zu einem Raum, in dem bereits ein paar Jungen und Mädchen warten, die alle ungefähr so alt sind wie er. Marvel linst: Alle Jungs haben den gleichen Text vor der Nase, manche schauen ihn neugierig an, taxieren ihn, manche grinsen freundlich, andere blicken nicht einmal auf. Sie haben ihre Finger in die Ohren gesteckt und bewegen beim Auswendiglernen des Texts die Lippen. Manche der Mädchen aber schenken ihm ein scheues Lächeln. Das ist einfach, er ist für sie ja keine Konkurrenz.
    Marvin setzt sich auf einen Hocker - die Stühle mit Lehnen sind alle besetzt. Er fühlt
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