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Bis ins Koma

Titel: Bis ins Koma
Autoren: Brigitte Blobel
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auf den Boden fallen und zieht seine Chucks aus.
    Die Badezimmertür geht auf. Seine Mutter kommt heraus, sie trocknet sich die Hände ab. Babsi Keller ist zweiundvierzig, groß, schlank, dunkelhaarig, sportlich. Und hübsch, findet Marvel. Er hasst seinen Vater für das, was er ihnen angetan hat. Aber sie reden nicht drüber. Das haben sie irgendwann mal beschlossen. Es nützt ja nichts. Die Dinge sind, wie sie sind. Sein Vater lebt jetzt mit einer anderen Frau zusammen und mit der hat er wieder ein Kind. Ein Mädchen. Marvel weiß nicht mal mehr, wie die kleine Zicke heißt. Er hat das verdrängt, es ist ihm egal. Er hat seinen Vater seit der Trennung höchstens zwei, drei Mal gesehen und jedes Mal ging es ihm danach so schlecht, dass er geschworen hat, sich das nicht mehr anzutun.
    So ist der Stand der Dinge.
    »Der Kartoffelbrei ist bestimmt schon kalt«, sagt seine Mutter jetzt. »Und der Salat sieht aus wie der Katze aus dem Hals gezogen.«
    »Macht nichts«, sagt Marvin, »hab sowieso keinen Hunger.« Es stimmt eben, dass Bier eine Mahlzeit ersetzen kann.
    »Keinen Hunger? Was ist los? Große Kerle müssen ordentlich essen! Es gibt Schnitzel! Wozu hab ich mir die ganze Mühe gemacht?
Um vier beginnt meine Schicht. Also komm, setz dich zu mir.«
    Marvel gehorcht. Wie eigentlich immer. Er tut überhaupt alles, damit seine Mutter seinetwegen nicht auch noch Stress hat. Ihr Leben ist schon hart genug. Sie hätte ein besseres verdient, sagt sie manchmal, und Marvel findet das auch. Sie hätten beide was Besseres verdient.
    Seine Mutter arbeitet im Krankenhaus in der Notaufnahme. Nicht als Krankenschwester, sondern als Bürokraft. Sie erledigt all den Papierkram, der bei jedem Patienten anfällt. Manchmal erzählt sie schaurige Geschichten von Unfallopfern und Leuten, die halb tot eingeliefert werden, und trotzdem muss sie rauskriegen, bei welcher Krankenversicherung die Leute sind, wie sie heißen, wo sie wohnen, ob sie eine Medikamentenallergie haben oder HIV-positiv sind. Welche Blutgruppe und so weiter. Manchmal können die Leute nur röcheln, manchmal werden sie jedoch von Verwandten begleitet. Dann ist sie erleichtert, dass sie die armen Patienten nicht mit Fragen quälen muss.
    Marvel stellt die Chucks schön nebeneinander unter die Garderobe, und als er aufstehen will, beugt seine Mutter sich zu ihm herunter. Dies ist offenbar einer der Tage, an dem sie einen Kuss von ihm möchte. Sie hat manchmal diese sentimentalen Anwandlungen. Marvel dreht den Kopf ein bisschen weg, die Lippen seiner Mutter streifen praktisch nur noch Wange und Ohr. Er schiebt sich an der Wand entlang in Richtung Bad.
    Seine Mutter schnüffelt misstrauisch.
    »Sag mal, Marvin! Wie riechst du denn?«, fragt seine Mutter plötzlich.
    »Wie denn?« Marvel flieht ins Bad, aber bevor er die Tür zudrücken kann, hat seine Mutter ihren Fuß dazwischengeschoben. Sie ruft erschrocken: »Hast du etwa was getrunken?«

    »Quatsch«, knurrt Marvel. »Mama, nimm bitte den Fuß weg, ich muss pinkeln.«
    »Aber du riechst nach Bier!«
    »Wir hatten heute Physik.« Als würde das irgendetwas erklären.
    Das Problem mit lauwarmem Bier ist eben auch, dass der Alkoholgeruch stärker durchkommt. Marvel denkt, während er möglichst lautlos gurgelt, dass Onkel Herbie tatsächlich ein paar gute Kunden verlieren wird, wenn er das mit dem Strom nicht geregelt kriegt. Und dass er, sobald seine Mutter los ist zur Schicht, bei Wanda anrufen wird.
     
    Marvel hat um 16 Uhr einen Termin im Studio Hamburg. Das ist eine halbe S-Bahnstunde vom Stadtzentrum entfernt. Ein riesiger Komplex mit Bürotürmen, Studios, in denen Talkshows aufgezeichnet, Shows vorbereitet oder neue Schauspieler gecastet werden. Er ist mit der U-Bahn hingefahren, das letzte Stück mit dem Bus.
    Er hat sich entschieden, an seinem Outfit nichts zu ändern, also: Fleecejacke mit Kapuze, ein Sweatshirt mit dem Aufdruck: »Was guckst du?«, Jeans und Chucks. In diesen Klamotten fühlt er sich authentisch und deshalb sicher. Das ist schließlich wichtig.
    Der Pförtner schaut auf eine Liste, lässt sich Marvels Personalausweis zeigen und wählt eine Nummer.
    »Ich hab einen Marvin Keller hier«, sagt er, hebt den Blick, mustert Marvin, der cool zurückblickt.
    »Gut. Okay, danke.« Der Pförtner schiebt Marvins Personalausweis durch den schmalen Spalt in der Glasscheibe zurück. »Studio 9 A«, sagt er und macht eine vage Handbewegung nach rechts.
    Während Marvel an riesigen Trucks mit dem N
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