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Bis in den Tod hinein

Bis in den Tod hinein

Titel: Bis in den Tod hinein
Autoren: Vincent Kliesch
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nächste Leiche auftaucht.« Daraufhin ging sie mit festen Schritten nach vorn und sprach Boesherz persönlich an: » Kommen Sie bitte gleich in mein Büro.« Dann richtete sie sich wieder an alle Mitglieder der Sonderkommission: » Wir nennen ihn ab jetzt Jack. Nach Jack the Ripper. Aber unser Ripper, meine Herrschaften, wird nicht entkommen. Haben wir uns verstanden?«

6
    » Im letzten Jahr!«, rief Anselm seinem Vater zu und wippte dabei zweimal mit dem Oberkörper nach vorn. » Sie hat es schon wieder übersehen!«
    Er konnte auf dem Esstisch endlich keine Putzschlieren mehr erkennen. Jetzt, zur Mittagszeit, wenn das Sonnenlicht durch die Fenster direkt ins Zimmer fiel, waren die Streifen am besten zu sehen. Für die Reinigung glatter Oberflächen verwendete Anselm zwei verschiedene Mikrofasertücher. Eines, das er vor dem Wischen mit warmem Wasser befeuchtete, und ein zweites, mit dem er trocken nachwischte. Die Tücher, die er im Internet entdeckt hatte, empfand er als die zuverlässigsten. Während er sich jetzt daranmachte, die Platzteller auszurichten, sprach er weiter zu seinem Vater.
    » Das Letzte bezeichnet das Ende einer vorgegebenen Reihe. Von den Beatles gibt es dreizehn Studioalben. Das letzte, das davon veröffentlicht wurde, war Let It Be .«
    Die Platzteller standen nun im richtigen Abstand zueinander, doch Anselm hatte noch nicht überprüft, ob die Beschriftung auf deren Unterseiten auch so ausgerichtet war, dass sie in Richtung des Gastes zeigte.
    » Wenn es um etwas geht, das in dem Jahr vor dem aktuellen Jahr geschehen ist, dann reden wir vom vergangenen Jahr. So wie es auch nicht um das nächste Jahr geht, sondern um das kommende. Warum verstehen die Leute das denn nicht?«
    Anselm glaubte kurz, sein Vater habe eine Form von Zustimmung verlauten lassen. Sofort fiel ihm aber wieder ein, dass dies gar nicht möglich war. Und obwohl die Dochte der Teelichter noch nicht gleichmäßig nach oben gebogen waren, ließ er vorübergehend von der Arbeit am Esstisch ab und ging stattdessen in das Schlafzimmer des alten Herrn.
    Anselm Drexler war einundvierzig Jahre alt und lebte allein mit seinem Vater im Haus der Familie. Er trug meist Pullover, bevorzugt in den Farben Gelb oder Blau, sein halblanges Haar war jederzeit frisch gewaschen und fiel zu den Seiten. Er war nicht besonders groß, etwas übergewichtig und trug eine auffällige schwarze Brille, die stets blitzsauber poliert war.
    » Ich habe es bald geschafft«, versprach Anselm, während er die Liegeposition seines Vaters korrigierte. » Heute Abend geht es weiter, gegen acht kommt Jurek nach Hause.«
    Dann gähnte Anselm. Seine Nacht war kurz und anstrengend gewesen. Später, vor seinem Besuch bei Kai Jurek, würde er trotzdem noch einmal in der Redaktion vorbeischauen, um seinen Vorgesetzten auf die Fehler hinzuweisen, die seine Kollegin Sonja schon wieder übersehen hatte. Er selbst arbeitete seit einiger Zeit von zu Hause aus, so konnte er den größten Teil des Tages in der Nähe seines Vaters verbringen. Für Anselms Vorgesetzten war es ohnehin nicht von Wichtigkeit, von welchem Ort aus dieser seine Arbeit erledigte. Nach Meinung der meisten Kollegen war dessen Stelle ohnehin überflüssig, auch wenn sie ihm dies niemals offen ins Gesicht gesagt hätten. Die Mitarbeiter in der Redaktion wussten sehr genau, welchen Stellenwert Anselm seiner Arbeit beimaß, und keiner von ihnen hätte sich jemals auf eine Debatte mit dem eigenartigen Mann eingelassen.
    » Ich habe es ihr sogar schon gesagt, aber sie ignoriert es einfach«, sprach Anselm nun weiter, während er den Beutel neben dem Bett noch einmal kontrollierte. » Und nicht genug mit diesem letzten Jahr! Vier Sätze weiter steht dann auch noch scheinbar. Im Ernst: scheinbar!«
    Anselm musste die Zeitung nicht zur Hand nehmen, um den Satz zu zitieren: » Die Kinder hatten scheinbar Spaß.«
    Paul Drexler rührte sich nicht, während sein Sohn damit fortfuhr, seinem Ärger Luft zu machen. » Wenn sie scheinbar Spaß hatten, dann hatten sie eben keinen Spaß. Es schien nur so! Was der Autor aber sagen wollte, war, dass die Kinder anscheinend Spaß hatten. Es hatte also den Anschein, auch wenn wir es nicht genau wissen. Das erklärt sich doch von selbst!«
    Während er ein weiteres Mal unwillkürlich mit dem Oberkörper wippte, kam Anselm plötzlich wieder in Erinnerung, dass der Esstisch noch nicht fertig war. Nicht nur die Kerzendochte, auch die Stühle mussten noch ausgerichtet werden.
    »
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