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Bis es dunkel wird: Kriminalroman (German Edition)

Bis es dunkel wird: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Bis es dunkel wird: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Kevin Brooks
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erkannte ich die nur knapp über die Wasserlinie ragende Silhouette eines Containerschiffs, das sich stumm am Horizont entlangschob. Es musste auf dem Weg nach Harwich sein.
    Ich zündete eine Zigarette an und drehte mich um.
    Zuerst fand ich Robyn nicht und glaubte für einen Moment, sie verloren zu haben. Doch als ich den Radius meiner Suche ausdehnte, sah ich rechts von mir am Rand der Wiese etwas Weißes aufblitzen – eine schlanke Kapuzengestalt, die sich geduckt durch die Lücke einer Hecke schob. Kurz war sie verschwunden, dann tauchte sie zehn Meter weiter wieder auf. Ich war mir jetzt ziemlich sicher, dass sie auf einen erhöhten Feldweg zusteuerte, der einem kleinen Bachlauf bis ganz ans äußerste östliche Ende der Insel folgte. Ich schaute noch eine Weile, nur um wirklich sicher zu sein, doch als ich sah, wie sie über ein paar Holzstufen die Böschung des Feldwegs hochstieg, wusste ich, dass ich recht hatte. Wohin sie wollte, wusste ich zwar immer noch nicht – und ich hatte auch keine Ahnung, warum mir das wichtig war und was ich da überhaupt tat –, doch mir war klar, dass der Weg parallel zum Strand verlief …
    Und das reichte mir.
    Ich drehte mich um und ging hinunter zum Strand.
    Der Weg und der Strand sind durch einen breiten Streifen Salzmarsch voneinander getrennt – einen dichten Teppich sich eng an den Boden schmiegender Pflanzen, durchbrochenvon zahllosen morastigen, schilfgesäumten Tümpeln. Zwar war ich für Robyn nun gut sichtbar, doch weil ein ausreichendes Hindernis zwischen uns lag, musste sie sich wegen mir keine Gedanken machen. Außerdem beachtete sie mich ohnehin kaum, sondern trödelte einfach den Weg entlang, versunken in ihrer eigenen zeitlosen Welt.
    Ich hatte nicht lange gebraucht, um zu ihr aufzuschließen, sie zu überholen und allmählich wieder langsamer zu werden, sodass ich nun in etwa auf ihrer Höhe, aber bewusst ein Stück vor ihr unten am Strand entlanglief. Selbst wenn sie mich also zufällig wahrnähme, würde sie nicht auf die Idee kommen, dass ich ihr folgte.
    Ein ganzes Stück vor mir sah ich zwei Gestalten in Jacken, die mit einem Golden Retriever am Wasser entlangschlenderten – ein Paar in mittleren Jahren, dem wahrscheinlich der Volvo auf dem Parkplatz gehörte –, doch von ihnen abgesehen war der Strand leer. Als ich in die Ferne blickte, sah ich nichts als einen langen Streifen Sand und Kies, den schimmernden Schlick des Watts und die stille graue Leere des Meers. Und das Einzige, was ich hörte, war das Klagen des Windes und die allgegenwärtige Stimme in meinem Herzen.
    Alles in Ordnung, John?
    »Nicht wirklich«, antwortete ich leise.
    Das wird schon werden. Du brauchst nur ein bisschen Ruhe.
    »Ja …«
    Ich schaute hinüber zu Robyn. Sie war stehen geblieben, um sich eine Zigarette anzuzünden, wandte dem Wind den Rücken zu, senkte den Kopf und umschloss das Feuerzeug mit den Händen … klick, klick, klick. Ich beobachtete sie einen Moment, wartete, bis sie den Kopf hob und den Rauch ausstieß, dann schlug ich meinen Kragen hoch und ging weiter.Als Kind war ich oft mit meinen Eltern auf Hale Island gewesen. Wir fuhren von Hey aus runter, stellten das Auto auf dem Parkplatz ab und gingen ein, zwei Stunden am Strand spazieren – Mum und Dad nebeneinander in leisem Gespräch, während ich allein loslief, die Strandlinie entlang, und angespülten Müll hochkickte auf der Suche nach Schätzen – Seebohnen, Donnerkeilen, Nixentaschen …
    Damals war ich glücklich gewesen.
    Und jetzt?
    Es schien keine Schätze mehr zu geben. Keine Seebohnen, keine Donnerkeile, keine Nixentaschen … nur Plastikflaschen, Styroporreste, Essensverpackungen, Einkaufstüten. Nichts, das sich aufzuheben lohnte. Jedenfalls nicht für mich. Als Kind wären das heute vielleicht meine Schätze. Plastikschätze, Schätze aus Gummi und Polyäthylen … Styroporperlen.
    Oder vielleicht erinnerte ich mich auch nur an Dinge, die in Wirklichkeit nie passiert waren.
    Vielleicht hatte es nie Schätze am Strand gegeben …
    Und ich war nie glücklich gewesen.
    Als ich mich dem Strandende näherte und Robyn auf das Ende des Wegs zulief, fragte ich mich, was ich tun würde, wenn sie einfach weiterginge, querfeldein zum Strand runter und dann zurück in meine Richtung. Was würde ich tun, wenn sie an mir vorbeikäme? Würde ich etwas sagen? Würde ich stehen bleiben und mit ihr reden? Oder würde ich nur lächeln und ihr zunicken, so wie ich es vor ein paar Minuten bei dem Volvo-Paar
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