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Bis es dunkel wird: Kriminalroman (German Edition)

Bis es dunkel wird: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Bis es dunkel wird: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Kevin Brooks
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Leben …
    Aber es ist das, was ich tue.
    Ich schloss kurz die Augen und kehrte zu dem Moment zurück, als Robyn mit Serina aus dem Haus trat. Da hatte ich das Mädchen zum ersten Mal gesehen – sie beide zum ersten Mal gesehen. Seither hatte sich Robyn von mir entfernt, außerdem trug sie nun ihre Kapuze über dem Kopf, also hatte ich nur diesen allerersten Blick auf sie zur Verfügung, um sie einzuschätzen.
    Doch das reichte.
    Ich betrachtete das Bild in meinem Kopf. Auf den ersten Blick wirkte sie wie das junge Mädchen, das sie tatsächlichwar: gepierct und mit modischen Tattoos, dünn angezogen – ein leichter weißer Parka über einem engen weißen Tanktop und tief sitzender Jogginghose –, blonde Haare, weiße Zähne, rot geschminkte Lippen, Smokey-Eyes-Lidschatten. Aber unter dieser Oberfläche, unter der Fassade des gewöhnlichen jungen Mädchens war Robyn anders. Hohläugig und ausgemergelt, die gefärbten blonden Haare stumpf und brüchig, ihre Schönheit genauso herb wie die ihrer Mutter …
    Sie war ein Junkie.
    Sie sah aus wie ein Junkie, sie ging wie ein Junkie. Der gesenkte Kopf, die fest verschränkten Arme, die blinde Entschlossenheit, dorthin zu kommen, wo sie hinwollte …
    Junkie.
    Ich war mir ganz sicher.
    Natürlich konnte ich mich täuschen – es wäre nicht das erste Mal gewesen und ich hoffte inständig, es wäre so. Doch als ich die Augen wieder öffnete und Robyn aus einem schmuddeligen weißen Wohnwagen am unteren Ende des Platzes treten sah, wusste ich gleich, dass ich mich nicht geirrt hatte. Sie war verändert. Sie wirkte nicht mehr so verkrampft und angespannt, sie war jetzt locker und unbeschwert … schwebend und fast ein bisschen schläfrig. Und sie lächelte immerzu. Lächelte in sich hinein, lächelte die Welt an, schenkte auch dem Mann ein bedröhntes Lächeln, der mit nackter Brust in der Tür des Wohnwagens stand. Groß und muskulös, mit langen, fettigen Haaren und Biker-Tattoos, vermutlich Mitte bis Ende zwanzig. Er lächelte zurück, als Robyn sich noch mal umdrehte und ihm zum Abschied winkte, doch während sie eine kleine Pirouette drehte und sich auf den Weg machte, verschwand sein Lächeln, wie wenn ein Licht ausginge. Er beobachtete sie einen Moment lang mit kaltem, leerem Blick, dann fuhr er sich mit dem Handrücken über die Nase, spuckte auf den Boden und schloss die Wohnwagentür.
    Ich konzentrierte mich wieder auf Robyn.
    Sie kam jetzt in meine Richtung, lief langsam auf einen schmalen Weg zu, der durch das buschige Land zum Parkplatz führte. Ich wartete einen Moment, betrachtete untätig die Gegend, dann schob ich die Hände in die Taschen und lief lässig die Wiese hinunter.
    Ich war ein Nichts, ein Niemand.
    Es lohnte sich nicht, mich wahrzunehmen.
    Ich war nur ein einsamer Mann in mittleren Jahren, der allein durch die Gegend spazierte, sich Dinge anschaute und durch den Tag treiben ließ.
    Nichts weiter.
    Nichts, worüber man sich Sorgen machen musste.
    Nichts, wovor man Angst haben muste.
    Nicht dass Robyn in dem Moment irgendwas sonderlich geängstigt oder in Sorge versetzt hätte. Wenn ich richtig lag und sie gerade etwas genommen hatte, dann war sie jetzt abgetaucht in ihrer kleinen Blase, getrennt vom Rest der Welt, geborgen, innerlich warm und glücklich. Und ich wusste, dass es mir nicht zustand, darüber zu urteilen. Egal, was Robyn sich antat, egal, für welches Leben oder Nicht-Leben sie sich entschied, es hatte mit mir nichts zu tun. Und selbst wenn …
    Es hatte mit mir nichts zu tun.
    Und verdammt, was könnte ich überhaupt einwenden? Ich war ja selbst nicht gerade –
    Halt die Klappe, John , sagte die Stimme in mir. Konzentrier dich auf das, was du tust.
    »Ich weiß aber nicht, was ich tue«, murmelte ich.
    Tja, Überraschung.
    Ich hatte inzwischen den Pavillon in der Mitte der Wiese erreicht und bislang der Versuchung widerstanden, mich umzudrehen und zu schauen, wohin Robyn ging. Wahrscheinlich wäre es in Ordnung, wenn ich es jetzt tat, überlegte ich, doch für alle Fälle nahm ich mir noch etwas Zeit – blieb amPavillon stehen, zog die Zigaretten aus der Tasche, blickte aufs Meer hinaus.
    Es war Ebbe, der graue Sandstrand ging in den glitschigen braunen Schlick des Watts über. Scharen von Sumpfvögeln stolzierten im Matsch hin und her – langbeinige Vögel stocherten suchend herum und fuhren mit ihren Schnäbeln durch den Schlick – und vorn, direkt vor der Küste, tuckerte ein Fischkutter durch den Regen. Weiter draußen
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