Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bis an das Ende der Nacht (German Edition)

Bis an das Ende der Nacht (German Edition)

Titel: Bis an das Ende der Nacht (German Edition)
Autoren: Christopher Coake
Vom Netzwerk:
nichts tun. Immer mit Feuereifer bei der Sache, wie Hunde eben sind.
    Er hatte so einen Ball, ein Quietschding aus Gummi, das war sein Lieblingsspielzeug. Den hatten wir im Park auch dabei. Gegen Mittag ist mein Vater mit uns zu einer Picknickwiese gefahren und hat an einem von den Grillplätzen Feuer gemacht. Meine Mutter und meine Schwester sind im Fluss rumgewatet. Ich und Gale sind einen Hang raufgelaufen und in den Wald rein, spielen. Ich warf den Ball, und er raste ihm nach, und wir liefen immer tiefer in den Wald, weg vom Weg, und Gale wurde immer wilder und aufgedrehter, und er hat sich seinen Ball geschnappt und ist damit losgefetzt, mitten durchs Unterholz, und ich musste schauen, dass ich hinterherkam.
    Es ging die ganze Zeit bergauf, und irgendwann hatte ich ihm den Ball doch abgejagt. Wir waren inzwischen so weit oben, dass wir am Rand einer Felswand hoch über dem Fluss standen. Also fing ich an – keine Ahnung, warum, ich hab mir nichts dabei gedacht -, den Ball in Richtung Kante zu werfen. Ich hab damit nichts bezweckt – nichts Böses, meine ich -, ich wollte einfach nur sehen, wie schnell er ist. Ich war … stolz auf ihn. Er preschte jedesmal los und erwischte den Ball weit vor der Kante, und ich dachte wohl einfach, er hat genauso den Durchblick wie ich.
    Dann warf ich noch ein bisschen fester, und der Ball sprang bis zur Kante vor, und ich merkte, dass ich mich verschätzt hatte, dass der Ball über die Kante fallen würde; Gale war zu weit weg, um ihn noch zu kriegen. Aber er raste trotzdem los. Der Ball rollte über den Rand, und Gale bremste nicht – er war zu aufgedreht, ich hatte ihn zu sehr aufgestachelt. Ich brüllte Nein, damit er anhielt, aber er bremste erst scharf vor der Kante. Da begriff er plötzlich, wo er war, und er schlitterte über die kahle Erde, sein Körper stellte sich quer, und dann rutschte er mit den Hinterpfoten über den Felsrand, und da hing er, nur die Vorderbeine noch auf festem Boden, und versuchte sich über den Rand hochzustrampeln.
    Ich rannte zu ihm, und als ich an der Kante stand, sah ich, wie tief es hinunterging. Vielleicht dreißig Meter, ich weiß es nicht. Schrecklich tief jedenfalls. Ich sah es alles wie auf einer Photographie, und ich sehe es immer noch vor mir. Die Wand war aus altem, dunklem, mürbem Kalkstein, ganz mit Moos und Ranken überwachsen, ich rieche den Geruch noch, nass wie umgegrabene Erde, und ganz unten war eine dunkle, schattige Böschung mit ein paar glitschig aussehenden abgestorbenen Bäumen darauf, um die altes fauliges Laub lag. Die Hangkante bröckelte, überall loses Geröll, und als ich hinuntersah, wurde mir schwummerig. Und statt Gale beim Halsband zu packen, hab ich … hab ich einfach nur runtergestarrt, weißt du, ich stand da wie gelähmt und starrte in den Abgrund.
    Aber nur eine Sekunde lang, eine halbe Sekunde. Mehr kann es nicht gewesen sein. Gale strampelte wie wild – scharrte an der Felswand, kratzte mit den Vorderpfoten im Geröll. Er hatte es fast über die Kante geschafft, da verlor er wieder den Halt und rutschte weg. Er sah mich an, die Augen ganz weit aufgerissen, und er machte so ein … so ein hüstelndes Geräusch. Und da kniete ich mich endlich hin und kroch zu ihm und wollte ihn am Halsband fassen, aber ein Stück Fels unter ihm muss nachgegeben haben, denn genau in dem Moment fiel er. Er hat … er hat aufgejault. Als er begriff, was mit ihm passiert.
    Ich hatte mich über den Rand gelehnt, um sein Halsband zu packen, und ich konnte sehen, wie er fiel. Seine Pfoten tapsten, als würde er immer noch am Fels Halt suchen, dabei flog er durch die Luft. Ein- oder zweimal drehte er sich um sich selbst. Auf halber Höhe schlug er an einen Felsvorsprung, und ich glaube, das war der tödliche Aufprall, denn danach flog er zwar weiter, aber ohne sich noch zu bewegen. Und beim Aufschlagen kam so ein … Ton aus ihm heraus, ganz kurz und scharf. Wie ein Schrei, der mittendrin abbricht.
    Er landete an dem Knick, wo die Steilwand in einen Hang überging, und rutschte weiter, als ob er aus Gummi wäre. Die nassen alten Blätter schoben sich vor ihm zusammen und bremsten ihn ab. Er machte eine Spur im Laub, und darunter war glänzender, feuchter Stein. Es sah aus, als würde eine Haut abgezogen. Ich schaute ganz schnell weg von Gale, nachdem er zu rutschen aufgehört hatte. Selbst von so weit oben konnte ich sehen, dass seine Lefzen hochgezogen waren.
    Ich kauerte auf allen vieren dort an der Felskante und starrte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher