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Bindung und Sucht

Bindung und Sucht

Titel: Bindung und Sucht
Autoren: Karl Heinz Brisch
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SCHINDLER
    Bindung und Sucht – theoretische Modelle, empirische Zusammenhänge und therapeutische Implikationen
    Ich möchte in diesem Beitrag zunächst ein theoretisches Modell entwickeln, das den Zusammenhang zwischen unsicherer Bindung und süchtigem Substanzmissbrauch beschreibt, möchte dann auf den Stand der empirischen Forschung eingehen und schließlich Implikationen für die Behandlung substanzbezogener Störungen ableiten. Dabei ist vieles von vorläufigem Charakter, da es bislang im Suchtbereich erst wenige bindungstheoretische Studien und überhaupt keine explizit bindungstheoretisch ausformulierten Behandlungsansätze gibt.
Theorie
    Wenn es um den Zusammenhang zwischen Bindung und Sucht geht, wird üblicherweise gefragt, ob Sucht eine Bindungsstörung sei. Dabei wird versucht, aus dem Motivations- und Verhaltenssystem »Bindung« Motivationslagen für süchtigen Substanzkonsum abzuleiten. Die Frage nach diesem Zusammenhang ist allerdings – etwas provokativ – auch schon anders herum gestellt worden, nämlich: Ist Bindung eine Suchtstörung? Insel (2003) spielt damit vor allem auf die Parallelen zwischen der biochemischen Vermittlung der Bindungsmotivation und der Motivation süchtigen Substanzkonsums an. Aufgrund solcher Zusammenhänge lassen sich aus dem Wissen über die Sucht möglicherweise auch Rückschlüsse auf bindungstheoretische Fragen ziehen.
Bindung
    Die grundlegende Funktion des Bindungssystems wird am besten im Vergleich von Tierarten mit und ohne ein solches deutlich. Beispielsweise kommen Suppenschildkröten ohne Bindungssystem aus. Die schiere Menge der von der Mutter am Strand abgelegten Eier stellt sicher, dass hinreichend viele frisch geschlüpfte und gepanzerte Schildkröten das Meer erreichen und die Art erhalten. Der Kaiserpinguin dagegen hat in der Regel nur ein einziges, wehrloses Kükenim Jahr. Das Bindungssystem stellt sicher, dass dieses von seinen Eltern geschützt wird. Für sein Überleben ist das Küken unabdingbar auf Bindung angewiesen. »Süchtig nach Bindung« wäre hier ein falscher Begriff, aber Bindung stellt ein überlebenswichtiges Motivationssystem dar.
    Überlebenswichtig ist Bindung auch beim Menschen. Auch hier reguliert das Bindungssystem Nähe und Distanz zwischen Eltern (bzw. Bindungsfiguren) und Kind. Bei wahrgenommener Gefahr sucht das Kind die Nähe der Eltern. Diese beruhigen es und geben ihm ein Gefühl von Sicherheit. Von dieser »sicheren Basis« aus kann das Kind seine Umwelt explorieren und seine innere Welt mentalisieren. Es ergibt sich ein Wechselspiel von Bindung und Exploration. Die »sichere Basis« ist die Voraussetzung dafür, dass Lernerfahrungen in der äußeren Umwelt gemacht werden können und ein kohärentes Bild der eigenen psychischen Prozesse entstehen kann. Außerdem findet damit eine Affektregulation des Kindes über die Bindungsfigur statt. Im Laufe der Zeit werden die immer wieder gemachten Bindungserfahrungen internalisiert. Es entstehen »innere Arbeitsmodelle« (»Inner Working Models«, IWM) des Selbst und der Bindungsfiguren: » Ich bin eine Person, die beschützt und der geholfen wird«. Und » Andere wenden sich mir zu, helfen mir und schützen mich bei Bedarf.« Diese IWM sind die Voraussetzung dafür, dass später auch andere Menschen außer den ursprünglichen Bindungsfiguren die Funktion einer »sicheren Basis« bekommen können. Außerdem ermöglichen sie eine zumindest teilweise autonome Affektregulation ohne andere Menschen. Holmes (1996) bringt dieses auf den Punkt indem er schreibt, dass eine sichere Bindung befreie. Dass eine »sichere Basis« oft auch anderswo gesucht wird, beschreibt Herbert Grönemeyer sehr schön in seinem Lied »Alkohol«: »Alkohol ist mein Fallschirm und mein Rettungsboot!« Wenn sich Sucht als Bindungsstörung begreifen lässt, ist das Suchtmittel dann also eine Bindungsfigur?
Sucht
    Bevor diese Zusammenhänge weiter beleuchtet werden, stellt sich zunächst einmal die Frage: Was ist Sucht? Sucht ist nur multifaktoriell, im Zusammenspiel biologischer, psychischer und sozialer Faktoren zu erklären. Zu den biologischen Faktoren zählen beispielsweise die genetische Ausstattung, Besonderheiten des individuellen Stoffwechsels psychotroper Substanzen, somatische Faktoren wie Schmerzstörungen und eine Vielzahl weiterer Faktoren. Bei den psychischen Faktoren ist z. B. an so unterschiedliche Dinge wie Temperament und Persönlichkeitszüge (z. B. Impulsivität) zu denken, an komorbide
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