Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bin Ich Schon Erleuchtet

Bin Ich Schon Erleuchtet

Titel: Bin Ich Schon Erleuchtet
Autoren: Suzanne Morrison
Vom Netzwerk:
Bali zu sein, während Jonah nach New York umzog, hielt ich das für eine gute Idee. Vielleicht brauchten wir eine Auszeit. Zwischen uns klappte es seit Monaten nicht mehr besonders. Aber jetzt, wo die Trennung kurz bevorsteht, ist er lieb und aufmerksam und sitzt bis spät abends im Pub, bis meine Schicht zu Ende ist, damit wir zusammen nach Hause gehen können. Anscheinend bekommt unsere Beziehung Aufschwung, weil wir wissen, dass unsere Zeit in Seattle sich dem Ende nähert.
    Mit dem Kofferpacken geht es sehr langsam voran, und heute hing Jonah bei mir rum, während ich meinen Waschbeutel füllte. In meinem Schrank steht seit drei Jahren dieselbe Flasche Sonnencreme – unter dem bleiernen Himmel von Seattle brauche ich so was kaum –, und ich wollte sie gerade einpacken, da kam mir ein Gedanke.
    »Wird Sonnencreme schlecht?«, fragte ich Jonah. Er machte ein verdutztes Gesicht und stemmte sich von meinem Futon hoch, um einen Blick auf die Flasche zu werfen, die ich in der Hand hielt. »Die steht schon ewig hier rum.«
    Er nahm sie, schnipste den Deckel auf und quetschte einen Tupfen Creme auf den Finger. Dann warf er mir einen Seitenblick zu, um sich zu vergewissern, dass ich ihn beobachtete, und leckte die Milch vom Finger ab. Er schmatzte, als hätte er an Butter geleckt, um herauszufinden, ob sie ranzig ist. »Schmeckt okay«, sagte er achselzuckend. Einen Augenblick lang nahm ich ihm tatsächlich ab, dass er wusste, wie verdorbene Sonnencreme schmeckt, aber dann kicherte er los und wischte sich mit dem Ärmel die Zunge ab. »Urgs«, prustete er, »erinnere mich daran, dass ich das nie wieder mache!«
    Ich hasse die Vorstellung, dass ich zurückkomme und er ist nicht mehr da.
    Ein Freund von mir, ein Matrose, der eine Million Mal die Erde umrundet hat, kam letzte Nacht ins Pub, und wir redeten lange über Indonesien. Ich bin schon lange insgeheim ein bisschen in ihn verliebt. Gestern Abend hatte ich wieder dieses Bauchflattern – halb Euphorie, halb Panik –, als er zur Tür reinkam. Aber heute … mir fehlt Jonah jetzt schon.

Später
    Klar, ich weiß, dass ich gesagt habe, ich würde mich in diesem Tagebuch nicht zensieren, aber in diesem einen Punkt muss es sein: Es geht um diesen Freund von mir, den Typ, der gestern in den Pub kam. Ich habe darüber nachgedacht. Ich kann seinen richtigen Namen nicht hinschreiben. Es fühlt sich falsch an. Also werde ich mir diesen einen Akt der Feigheit zugestehen, obwohl mir das fürchterlich nach Sex and the City riecht. Er ist Matrose, und so werde ich ihn nennen: der Matrose.
    Er hat mir einen Roman geschenkt, den ich nach Bali mitnehmen soll. Ich blättere ihn gerade durch.
    Außerdem ist er einfach nur ein guter Freund. Ja, schön, da gab es diese Nacht, bevor ich mit Jonah zusammen war, in der wir uns geküsst haben. Ziemlich heftig. Ohne Kleider. Aber das ist drei Jahre her. Ich habe also keinen Grund, mich schuldig zu fühlen, auch wenn es mich kurz durchzuckt hat, als ich das Buch aufschlug und eine Karte darin fand. Es steht nicht viel mehr drauf als »Bon Voyage«, aber trotzdem … Normalerweise hätte ich jetzt die übelsten Gewissensbisse und würde von einem Paralleluniversum phantasieren, in dem ich mit ihm lebe und wir den ganzen Tag in seinem Wohnturm liegen und Bücher lesen und die Nacht durch reden. Und anderes tun. Ich muss nicht deutlicher werden, oder?
    Aber ich bin zu deprimiert, weil ich wegfahre und Jonah hier bleibt. Nicht mal eine prickelnde Phantasie kann ich mehr genießen.

20. Februar
    Meine Yoga-Klamotten für das Retreat wurden in Indonesien hergestellt. Ist das ein gutes Omen? Werden sich meine Hosen dort gleich wie zu Hause fühlen? Oder ist es ein schlechtes Omen, und man wird mich für eine imperialistisch-kapitalistische Neokolonialistin halten, die Bali besucht, um ihre Ausbeuterbetriebe zu kontrollieren?
    Puh. Bestimmt hätte ich Bio-Baumwolle kaufen sollen. Ein Yoga-Outfit »aus zertifizierten Erwachsenen-Betrieben«. Shit. Ich bin jetzt schon uncool.

22. Februar
    Ich habe Indra gemailt, dass ich nicht kommen kann. Ich fühle mich dem nicht gewachsen, ich bin kein mutiges Mädel mehr und kann nur noch daran denken, dass die Welt demnächst untergeht – alle sagen das, Nostradamus und der Betrunkene gestern im Pub. »Du glaubst, der 11. September war schlimm?«, lallte er. »Dann warte mal ab, was der 13. Juni bringt!« Ich will nicht so weit von meiner Familie und meinen Freunden weg sein, wenn nach dem Hagel die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher