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Bin Ich Schon Erleuchtet

Bin Ich Schon Erleuchtet

Titel: Bin Ich Schon Erleuchtet
Autoren: Suzanne Morrison
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Partner Lou. Aber ich will ehrlich sein: Es war keine Anzahlung für eine Ausbildung zur Yoga-Lehrerin, es war eine Anzahlung für ein neues Ich.
    Kurz nachdem ich mein Schicksal mit diesem Scheck besiegelt hatte, kaufte ich ein dickes, liniertes, ledergebundenes Tagebuch und fing an zu schreiben. Das Schreiben war nichts Neues für mich, ich hatte seit meinem zehnten Geburtstag ein Tagebuch geführt. Damals stand Hello Kitty auf dem Umschlag, und ein kleines Metallschloss sollte meine Brüder fernhalten. Diesmal jedoch war mir irgendwie klar, dass ich für jemanden schrieb. Aber für wen? Mein älteres Ich, damit ich mich später daran erinnern konnte, wer ich einmal war? Oder für Indra, für Jonah, für den Äther? Ich weiß es nicht. Aber mir fällt dazu Thomas Mallon ein, der mal gesagt hat: »Niemand führt ein Tagebuch nur für sich allein.« Offensichtlich hat er recht.

17. Februar 2002
    Seattle, 3 Uhr morgens
    Okay. Ich bin am Durchdrehen.
    Heute in einer Woche fliege ich zu einem Yoga-Retreat nach Bali. Ich kann es kaum erwarten und will nicht hin. Es macht mich fertig, dass ich in einer Woche auf der anderen Seite des Globus sein werde, während Jonah seinen Kram für den Umzug nach New York packt. Wenn ich zurückkomme, ist er weg. Ich habe dann noch ein paar Wochen, um mein Leben in Seattle abzuwickeln, dann fahre ich zu ihm. Er will in Brooklyn eine Wohnung für uns suchen, während ich noch auf Bali bin.
    Ich weiß nicht, was mich mehr schockt – dass Jonah und ich aus Seattle wegziehen werden, oder dass meine Mutter wirklich und wahrhaftig glücklich ist, weil ich mit meinem Freund zusammenleben werde. In Sünde. Sie sagt, es wäre ihr lieber, wenn wir vorher heiraten, weil sowieso alle wissen, dass wir es vorhaben. Aber, wie sie es ausdrückt: »Wenn du nicht so weit bist, bist du nicht so weit. Ich jedenfalls habe ein besseres Gefühl, wenn ich weiß, dass du in New York einen Mann im Haus hast.«
    Bali. Zwei Monate ohne mein Zuhause und meine Familie. Ich schneide die Nabelschnur nicht durch, noch nicht. Ich bohre nur ein paar Löcher.
    Ich hatte doch mal Mumm in den Knochen, verdammt. Wenn ich mich mit der Frau vergleiche, die ich am Ende der Highschool war, erkenne ich mich kaum wieder. Damals habe ich gemacht, was ich wollte. Es war mir egal, was die Leute von mir hielten oder ob ich damit irgendwen enttäuschte. Als alle meine Freunde aufs College gingen, riss ich nach Europa aus, als wäre das das Normalste von der Welt. Ich war noch nie im Ausland gewesen, aber ich wusste, was ich wollte, ich sparte etwas Geld und zog einfach los.
    Ich hatte vor nichts Angst. Jetzt möchte ich mich am liebsten bei meiner Familie entschuldigen, weil ich nach New York gehe. Weil ich unsere kostbare gemeinsame Zeit verkürze, um meinen selbstsüchtigen Träumen nachzujagen.
    Ich habe sogar Schiss vor diesem Tagebuch. Es jagt mir eine Heidenangst ein, ehrlich zu sein, aber ich habe mir versprochen, dass ich mich hier nicht zensieren werde. Seit mein Exfreund mal in meinem Tagebuch geschnüffelt hat und dabei auf den Seitensprung mit einem deutschen Maschinenbau-Studenten namens Joachim (Johann? weiß nicht mehr) gestoßen ist, konnte ich über heikle Sachen allenfalls verschlüsselt schreiben. Aber dieser Trip jetzt ist allein meine Angelegenheit. Kein Boyfriend, keine Familie. Wenn ich etwas zu Blamables aufschreibe, kann ich das Tagebuch immer noch vor der Heimreise verbrennen.
    Ich war seit über zehn Jahren nicht mehr bei der Beichte. Als ich klein war, sagte meine Mutter immer: »Fühlst du dich jetzt nicht wohler? Jetzt hast du reinen Tisch gemacht.« Das kam unweigerlich nach jeder Beichte. Und ich kriegte dann Schuldgefühle, weil ich wusste, dass mein Tisch noch bekleckert war. Ich konnte mich nie dazu aufraffen, alle Bußgebete aufzusagen – wenn der Priester mir zwölf Ave-Maria und zehn Vaterunser auftrug, murmelte ich zwei oder drei von jedem, und das war’s. Deshalb wusste ich genau, dass ich nicht wirklich geläutert war.
    Aber jetzt bin ich bereit für den reinen Tisch. Wenn ich an die zwei kommenden Monate mit meiner geliebten Indra denke, ist dieser Trip nach Bali ein einziges aufregendes Abenteuer. Aber ich werde auch mit Indras Partner und Kollegen Lou zu tun haben, und nicht zu knapp, und das entspricht einer Zwei-Monats-Dosis Ave-Maria und Vaterunser. Eine Art Fegefeuer.
    Beim Gedanken an Lou mache ich mir schier ins Hemd. Ich glaube, er kann meine Gedanken lesen. Mist, kaum schreibe
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