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Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt

Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt

Titel: Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt
Autoren: Die fuenfte Offenbarung
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stellt«, er-klärte Frédéric. Und obwohl er diese Formulierung gewiss nicht zum ersten Mal gebrauchte, brachte er sie mit einer solchen Bitterkeit vor, dass sie ganz und gar nicht wie eine Floskel wirkte. »Ich darf mich ja eigentlich nicht beklagen. Der Schatten war bisher immer günstig für mich. Sie hat Ihnen von mir erzählt, nicht wahr?«
    Dabei wies er mit den Augen hinüber zur Bar, wo Lydia Marchini ihren Charme an einem Winzling im Smoking erprobte, der mit seinem Stoppelhaar und einer Brille mit kleinen runden Gläsern wie ein Ebenbild Toulouse-Lautrecs aussah.
    »Ach, wir haben uns lediglich über harmlose Nichtigkeiten unterhalten«, antwortete Kiersten mit einem wegwerfenden Achselzucken.
    »Nichts ist harmlos«, murmelte er mit einem Anflug von Furcht.
    »Hüten Sie sich vor der, das ist eine Spionin! Spüren Sie diesen Luftzug?«
    Sie wollte gerade widersprechen, als ein eisiger Hauch, woher auch immer er kommen mochte, ihren Nacken streifte. Sie erschauerte und dachte: »Jetzt fang ich schon an, Gespenster zu sehen!«
    »Die größte List des Teufels ist es, glauben zu machen, dass es ihn nicht gibt«, sagte Frédéric mit gedämpfter Stimme. »Die Kräfte 6

    des Bösen sind am Werk, direkt hier! Sie können ruhig darüber lachen, tun Sie sich keinen Zwang an!«
    Kiersten verspürte nicht die geringste Lust, zu lachen. Sie wollte nur noch das Gespräch auf höfliche Art beenden. Durch das Erscheinen einer Hausangestellten, die Frédéric einen dicken, wattierten Umschlag überreichte, erübrigten sich ihre Anstrengungen. Der junge Mann unterdrückte mit Mühe einen Aufschrei und wurde totenblass.
    »Aber … wann? Und wie?«, stammelte er beim Blick auf das Ku-vert. Ohne eine Antwort abzuwarten und ohne Kiersten auch nur noch eines Blicks zu würdigen, drehte er sich um und ging.
    In dem kleinen Salon, der neben seinem Schlafzimmer lag, öffnete Frédéric Delagrave den großen Umschlag mit zitternden Händen. Ihm machte weniger die Angst vor dem Inhalt zu schaffen als die Frage, wie er auf die Erklärungen Flavios reagieren würde. Denn er fürchtete, dass auf den Schmerz dieser drei Wochen unerklärlichen Schweigens jetzt die Bitterkeit der Feststellung folgen würde, dass der Freund lediglich aus Gedankenlosigkeit, Lässigkeit – kurz, aus völlig unentschuldbaren Gründen so gehandelt hatte. Natürlich würde er Flavio trotzdem entschuldigen, denn er hing an ihm mit absoluter, blinder und wilder Leidenschaft, die so weit ging, dass er mit unaussprechlicher Dankbarkeit selbst noch die Qualen hin-nahm, die diese vergeistigte Liebe seiner Seele und seinem Stolz zu-fügte.
    Der Umschlag enthielt eine Videokassette, der nur wenige handschriftliche Zeilen beigefügt waren: »Frédéric, mein Bruder, mein zweites Selbst! Ich habe den Weg der Astralen Verklärung gewählt, den letzten Beweis der Transfiguration. Überlass dein Herz nicht der Trauer, sondern öffne es dem Unsagbaren, dem Unsühnbaren!
    Da du mich nicht begleiten kannst, sei bei mir im Gebet… Flavio.«
    7

    Beim Eintreten sah die Hausdame Frédéric am Boden knien. Er schien etwas unter den Möbeln zu suchen, und sein Gesicht war dabei vor Übelkeit verzogen.
    »Kann ich Ihnen helfen?«
    »Riechen Sie das denn nicht?«, fragte er und erhob sich. »Dieser Gestank ist doch unerträglich. Mir ist schon ganz schlecht davon!«
    Er schnupperte an dem Umschlag und an der Videokassette. Nein, daher kam der üble Geruch nicht. Aber woher sonst? Signora Renata, von Jennifer Delagrave als ihre Zofe und von Frédéric als
    ›Mutter Oberin‹ bezeichnet, schnupperte ebenfalls und befand mit gerümpfter Nase, es rieche tatsächlich nicht gut. Sie riss das Fenster auf und rauschte majestätisch hinaus, während ihr ein finsterer Blick des jungen Seminaristen folgte. »Sie steckt mit den anderen unter einer Decke, um mich zu überwachen!«, dachte er. »Und was hat diese Lydia da unten zu suchen? Wer hat sie eingeladen?«
    Auf dem Bildschirm erschien Flavio, das Gesicht dem Betrachter zugewandt. Er war in ein langes, weißes Gewand gekleidet. Mit gespreizten Beinen und hochgereckten Armen war er an Fuß- und Handgelenken an ein großes Andreaskreuz gekettet. Ruhig und unerschrocken blickte er geradeaus. Frédéric schaltete mit der Fernbedienung den Fernseher aus. Furcht umkrallte sein Herz. Er erhob sich, um die Zimmertür abzuschließen und das Licht zu löschen.
    Nur eine kleine Art-deco-Lampe mit schummrigem Schein auf dem Kaminsims ließ er
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