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Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt

Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt

Titel: Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt
Autoren: Die fuenfte Offenbarung
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Bourdages und Ada Nalukturuk bemühten sich um Aufmerksamkeit für Kierstens Ausführungen, konnten aber nicht verhindern, dass ihre Blicke vom Bildschirm angezogen wurden, wo als Stummfilm der Todeskampf eines jungen Mannes offensichtlich lateinamerikanischer Herkunft ablief, der neun Minuten lang den Quälereien standgehalten hatte, ehe er zusammen-brach und seine Henkersknechte um Gnade anflehte. Sein verfilm-tes Sterben dauerte in ›Echtzeit 43 Minuten‹ – so stand es auf der Kassettenverpackung zu lesen.
    Julien wusste aus Erfahrung, dass jeder vernünftige Gedanke un-möglich war, wenn aus den Lautsprechern die dazugehörigen Schmerzensschreie, das Schluchzen und das Flehen drangen. Man musste ständig gegen das Verlangen ankämpfen, sich die Ohren zuzuhalten. Dass jetzt der Ton abgeschaltet war, nahm zwar den Bildern nicht ihr Grauen, bot aber doch den Betrachtern die Möglichkeit einer gewissen Distanz. Paul Bourdages saß mit undurch-16

    dringlichem Gesicht da. Obwohl er erst fünfunddreißig war, wirkte er mit seiner Glatze und Leibesfülle eher wie ein Fünfzigjähriger. Er war nicht nur persönlicher Referent des Premierministers, sondern auch seit zehn Jahren dessen besonderer Schützling, sein Vertrauter und sein Mann für besondere Aufgaben. Er war bekannt für seinen Zynismus, aber auch für sein Geschick bei der Erledigung heikler Aufträge.
    Was Doug Murphy betraf, so gehörte dieser zu den einflussreich-sten Amtsträgern in der Bundesverwaltung. Seine Feinde meinten, er habe eigentlich allen Anlass zur Bescheidenheit, und seine Berufung in die jetzige Position verdanke er weit eher seinen Schwä-
    chen als seinen Fähigkeiten. Die Entscheidung Kommissar Clarksons zu Gunsten einer Beförderung Kiersten MacMillans war gar nicht nach seinem Geschmack gewesen: ihnen hier diesen weib-lichen Inspektor vorzusetzen mit dieser unausstehlichen Selbstsicherheit…
    Ada Nalukturuk war bekannt geworden durch die Gründung der ersten Eskimo-Künstlergenossenschaft in Cape Dorset im Süden der Baffin-Insel. Ihre kämpferische Art, ihr Engagement für die Interessen des Hohen Nordens und ihr wachsendes Ansehen unter den kanadischen Intellektuellen hatten sie zu einer idealen Kandidatin für einen symbolträchtigen Posten in Ottawa gemacht. Ihr Problem war, dass sie ihre Aufgabe im Justizministerium sehr wichtig nahm und dabei auch schon mehr als einmal in die Hand gebissen hatte, die sie nährte … In ihren umflorten Augen glänzten Tränen, sie war wie hypnotisiert von den Bildern des Videos, und ihr Vollmondge-sicht war von Leid und Mitleid zugleich geprägt. Julien, der eigentlich kaum zu philosophischen Betrachtungen neigte, empfand eine gewisse Scham vor dieser Frau, die aus den eisigen Weiten der Ark-tis gekommen war, um die Rechte und die Würde ihres Volkes zu verteidigen und hier nun unfreiwillige Zeugin eines der schlimmsten Exzesse einer seelisch kranken Zivilisation sein musste.
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    »Das ist unerträglich«, sagte Bourdages in kaltem Ton.
    »Wenn Sie das schon unerträglich finden«, meinte Julien und betrachtete dabei aufmerksam seine Fingernägel, »werden Ihnen bald die passenden Worte fehlen …«
    »In Zusammenarbeit mit dem FBI«, fuhr indessen Kiersten fort,
    »haben wir eine vorläufige Liste echter Snuffs zusammengestellt, die auf dem Markt sind. Selbstverständlich kann diese Liste nur unvollständig sein, denn der Vertrieb dieser Kassetten wird von ihren Produzenten streng überwacht, damit es nicht zu ›illegalen Raubko-pien‹ kommt. Wie ich sehe, ist die Ironie eines solchen Verhaltens Ihnen nicht entgangen! Im Allgemeinen wandern diese Videobänder im Original von einem Besitzer zum anderen, wobei jeder versucht, sie mit höchstmöglichem Gewinn weiterzuverkaufen. Einige davon haben inzwischen einen außerordentlich hohen Preis …«
    »Sie sprechen von ›echten Snuffs‹«, warf Doug Murphy ein. Die beiden letzten Worte betonte er besonders nachdrücklich, um zu verdeutlichen, dass er sowohl jetzt als auch für alle Zukunft jegliche Verantwortung dafür, dass es solche Scheußlichkeiten überhaupt gebe, weit von sich weise. »Was genau heißt das?«
    Er war rot angelaufen, mahlte mit den Kiefern und schaute zu den Fenstern. Konnte man die denn nicht öffnen, man erstickte hier ja! Er war nicht der Einzige, der es zu heiß fand, und Julien fragte sich, ob er nicht doch Kiersten zu viel Machiavellismus zutraue mit seiner Verdächtigung, sie habe die Thermostate
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