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Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt

Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt

Titel: Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt
Autoren: Die fuenfte Offenbarung
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überreden lassen?
    Als sie in der vergangenen Woche in Rom angekommen war, hatte sie Botschafter Delagrave einen Höflichkeitsbesuch abgestattet.
    Er hatte dabei von Richter MacMillan als seinem uralten Freund gesprochen und sie gebeten, ihm die Versicherung seiner ›unverbrüchlichen Freundschaft‹ zu übermitteln. Außerdem hatte er das ›tragische Geschick der lieben Gwendolyn‹ in einem solchen Beileidston erwähnt, als ob er eben erst davon erfahren habe; dabei lag der Tod der Gattin des Richters ein gutes Vierteljahrhundert zurück. Kiersten hatte darauf nichts erwidert, sich aber anschließend daran zu 1

    erinnern bemüht, wann sie wohl zuletzt den Vornamen ihrer Mutter gehört hatte – der ihr plötzlich alles andere als passend vorkam …
    Wenig später hatte sie am Telefon die Grüße des Botschafters ihrem Vater ausgerichtet. Dieser konnte sich trotz seines bekannt guten Gedächtnisses nur recht vage an den ›uralten Freund‹ erinnern. »Delagrave… Edouard vielleicht? Warte mal… nein, Edmond.
    Genau, Edmond Delagrave; richtig, der war mit mir am Jean-de-Brébeuf. Damals war er ja eher eine blasse Figur; aber ich nehme mal an, dass seine Karriere ihm wohl die fehlenden Konturen verliehen haben wird.«
    Wie ein Schiff mit geblähten Segeln die Wogen der Menge zertei-lend, steuerte der Botschafter gerade jetzt auf Kiersten zu. Im Schlepptau hatte er eine junge Frau mit lebhaften schwarzen Augen und einer Kurzhaarfrisur. »Lydia Marchini, die gefürchtete Journalistin von Corriere«, stellte er vor. »Ich habe ihr von Ihrer Aufgabe beim bevorstehenden Besuch des Heiligen Vaters in Kanada erzählt, und sie interessiert sich sehr für unsere berühmte berittene Polizei.
    Da ist sie bei Ihnen ja in den besten Händen…«
    Mit einem öligen Lächeln verabschiedete er sich, um auf eine Gruppe marokkanischer Würdenträger zuzustürzen, die soeben hereinkam. Kiersten hatte ihn im Verdacht, dass er sich auf ihre Kosten von einer lästigen Journalistin hatte befreien wollen; deren Fragen über den Anlass ihres Besuches hier in Rom beantwortete sie mit großer Zurückhaltung. Sie bestätigte lediglich die enge Zusammenarbeit zwischen der kanadischen Polizei und dem Sicherheitsdienst des Vatikans bezüglich der Papstreise und gab ihren Besuch als reine Routinemaßnahme aus. Tatsächlich aber war sie gekommen, um ihre italienischen Kollegen darüber zu informieren, dass man der Vorbereitung eines Anschlags auf die Spur gekommen war: In Toronto sollte der Heilige Vater ermordet werden!
    Irgendwie hatte Kiersten den Eindruck, Lydia Marchini höre ihr 2

    nur mit halbem Ohr zu – oder spielte sie ihr das vielleicht nur vor, und es war eine raffinierte Masche, um besser an vertrauliche Informationen zu kommen?
    »Geben Sie doch den Türken eine zweite Chance«, meinte ihre Gesprächspartnerin mit gesenkter Stimme. »Sono cosi goffi! – Die haben sich ja derart dumm angestellt!«
    »Eine zweite Chance?«, fragte Kiersten und glaubte, nicht recht gehört zu haben.
    »Es ist doch höchste Zeit, dass dieser alte Sturkopf den Löffel ab-gibt!« Die Journalistin wartete gespannt auf ihre Reaktion, und als Kiersten vor Schreck erstarrte, brach sie in helles, unbekümmertes Gelächter aus. Sie sah entzückend aus mit ihren glänzenden, ebenmäßigen Zähnen, der bräunlichen Hautfarbe und ihrem schülerin-nenhaften Spaß am Schabernack. Wieso nur hatte Delagrave sie als
    ›gefürchtet‹ bezeichnet? Kiersten blieb gelassen, obwohl (was sie aber eher als positiv empfand) der respektlose Ton, in dem diese junge Frau vom Oberhaupt der Christenheit sprach, doch sehr abstach von den unterwürfigen und ermüdenden Weitschweifigkeiten, in denen sich ihre italienischen Kollegen ergingen, wenn vom Papst die Rede war.
    »Das ist auch eine Meinung«, antwortete sie trocken und warf ihr einen warnenden Blick zu, um ihr zu raten, ihre Worte besser abzuwägen, weil sie bemerkt hatte, dass der junge Delagrave sich näherte und ihm trotz gespielten Desinteresses kein Satz ihres Gespräches entging.
    Lydia wandte den Kopf und machte dem jungen Mann mit spöt-tischem Lächeln ein Zeichen. Dieser heuchelte Überraschung, zö-
    gerte, machte aber dann auf dem Absatz kehrt und entfernte sich mit entschlossenen Schritten, als habe ihn von irgendwoher ein geheimnisvoller, dringender Ruf erreicht.
    »Die Leiden des jungen Werthers« , sagte Lydia. »Sie kennen ihn wohl schon…«
    3

    »Nur vom Sehen. Ich bin ihm gestern schon begegnet,
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