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Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt

Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt

Titel: Billon, Pierre - Die fünfte Offenbarung.odt
Autoren: Die fuenfte Offenbarung
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ebenfalls hier.«
    »Vom Sehen – das ist bei ihm doch auch schon viel. Welche Verschwendung!«
    Die junge Frau hatte zweifel os Recht: Frédéric Delagrave war von ätherischer, androgyner Schönheit, mit flammenden Augen und einer Fülle ungebändigter Locken, durch die er sich mit seinen langen, gepflegten Fingern fuhr. Die Verschwendung, von der Lydia sprach, bezog sich auf seinen derzeitigen Stand als Zögling eines Priesterseminars. Kiersten kannte die Geschichte durchaus schon, hütete sich aber, etwas zu sagen, zumal sie darüber jetzt nicht weiter diskutieren wollte. Gerüchten zufolge hatte sich Vater Delagrave heftigst dagegen gesträubt, dass sein einziger Sohn Priester werden wollte. Dabei stammte er selbst aus einer der großen katholischen Familien von Trois-Rivières. Zur Verwandtschaft zählten sogar ein leibhaftiger Bischof und zwei Nonnen. Noch merkwürdiger aber war das Verhalten der Mutter gewesen: Jennifer Harrison Delagrave, dem Agnostizismus anhängende Tochter eines lutherischen Pastors aus Minnesota – ausgerechnet sie verteidigte ihrem Mann gegen-
    über den Berufswunsch ihres Sohnes. Schließlich konnte sie seinen Eintritt ins Seminario Pontificio Franceses durchsetzen.
    »Haben Sie irgendwo Flavio Buglione gesehen?«, fragte Lydia und ließ ihre Blicke umherschweifen.
    »Buglione?«
    Die Italienerin machte ein überraschtes Gesicht. Wie konnte man nur Flavio Buglione nicht kennen, den Erben des fünftgrößten Vermögens im Lande und des Textilimperiums Buglione! Er galt als der derzeitige Prinz des Jeunesse dorée von Rom und war das Lieblingskind der Regenbogenpresse. Flavio Buglione war noch keine zwanzig und füllte schon die Klatschspalten mit seinen Extravaganzen, seiner Tollkühnheit und seinen den Tod herausfordernden Waghalsigkeiten. Ihn hatte Frédéric Delagrave auf der Französischen 4

    Höheren Schule kennen gelernt. Die beiden damals Dreizehnjährigen wurden bald unzertrennlich, wohl gerade wegen ihrer so unterschiedlichen Charaktere und Neigungen. Neuesten Gerüchten zufolge sollte Flavio jetzt ein klein wenig ruhiger geworden sein, was auf den Einfluss seines Freundes, des Seminaristen Frédéric, zurückgeführt wurde.
    Kiersten hörte sich Lydias Klatschnachrichten nur unaufmerksam an. Sie hegte den leisen Verdacht, dass das Interesse der Journalistin an Flavio dem Prächtigen nicht allein auf den Informationen beruhte, die sie so großzügig weitergab. »Die teilt mir hier Vertraulichkeiten mit«, sagte sie sich dabei beunruhigt, »und erwartet im Gegenzug welche von mir. Was sie interessiert, ist die Beziehung zwischen dem jungen Delagrave und diesem Flavio. Sie ist sicher ir-gendeinem Skandal auf der Spur und meint, ich könne ihr nützlich sein!«
    Kiersten leerte ihr Sektglas und bemühte sich, an den Botschafter heranzukommen, um sich zu verabschieden. Dabei stieß sie zufällig auf Frédéric. Mit einem unverbindlichen Lächeln nickte sie ihm kurz zu; sie wol te ein Gespräch mit ihm vermeiden, aber der junge Mann sprach sie direkt an.
    »Sie sind Kiersten MacMillan, nicht wahr? Mein Vater hat uns von Ihnen und von seinem Freund William MacMillan, dem bekannten Mitglied des Obersten Gerichts, erzählt… Es scheint, dass Sie die erste Frau sind, die bei der Königlich Kanadischen Polizei in den Rang eines Inspektors aufstieg.«
    »Das stimmt. Was die Stellung der Frau betrifft, ist unsere kanadische Polizei nur ein winziges Stück weniger rückständig als die katholische Kirche.«
    Sie zwang sich zu einem Lächeln, aber ihre Stimme verriet sie.
    Wenn irgendetwas sie wirklich ärgern konnte, dann war es eine Anspielung darauf, dass ihr beruflicher Erfolg etwas mit der heraus-ragenden Stellung ihres Vaters zu tun haben könnte. Wie hatte 5

    dieser Rotzbengel von einem Seminaristen nur so zielsicher ihre Schwachstelle treffen können? Er schien jedoch durch die Heftig-keit ihrer Antwort so aus der Fassung gebracht, dass sie fürchtete, ihm ganz zu Unrecht eine Boshaftigkeit unterstellt zu haben. »Man kann die Menschen lieben und trotzdem die Menge hassen«, sagte Frédéric mit einem gequälten Blick. »Ich begreife das nicht. Meine Eltern fühlen sich hier offenbar wie Fische im Wasser – unter all diesen Haien! Leiden Sie nicht darunter, immer den Vater vor Augen zu haben?«
    »Warum? Jeder hat sein eigenes Schicksal!«, gab sie zurück und ärgerte sich sogleich über die Belanglosigkeit ihrer Antwort.
    »Mein Vater ist die Sonne, die mich in den Schatten
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