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Bevor ich verbrenne

Bevor ich verbrenne

Titel: Bevor ich verbrenne
Autoren: Gaute Heivoll
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Lehrbüchern und vergilbten Heften und Papieren. Ich erinnerte mich an den Dachboden aus meiner eigenen Schulzeit als ein ziemliches Durcheinander voller Plunder. Hin und wieder versteckten wir uns dort, wenn wir im Keller Werken hatten; wir schlichen uns am Musikraum vorbei bis zur letzten pechschwarzen Treppe, setzten uns mucksmäuschenstill auf den eiskalten Fußboden und warteten, ob irgendjemand unser Fehlen bemerken würde.
    Die Bücher waren kalt und klamm und meine Finger hinterließen Abdrücke auf dem feuchten Papier. Sie lagen sicher seit zwanzig, dreißig Jahren dort. Nach einer Weile stieß ich auf einen Stapel in Zellophan verpackter Schwarz-Weiß-Fotos, und mit einem unbestimmten Gefühl der Erwartung begann ich, all diese Bilder durchzublättern. Sofort erkannte ich Gesichter wieder, wusste aber nicht gleich, wie ich sie einordnen sollte. Die meisten Fotos zeigten Kinder, doch zwischendrin gab es auch eine Gruppe Erwachsener. Langsam begriff ich, dass diese Fotos aus meiner eigenen Schulzeit stammten. Es handelte sich um Kinder, mit denen ich in eine Klasse ging, einige etwas älter, andere ein wenig jünger, Bilder vom Schulhof oder aus den Klassenräumen, auch den einen oder anderen Lehrer zeigten die Fotos. Auf einem Bild sah ich einen kleinen Jungen, der auf einer Bühne stand und sang. Er war gerade beim Friseur gewesen und trug einen Strickpullover mit einem Hemd darunter, dessen Kragen ihm in den Hals stach. Es schien sich um eine Weihnachtsfeier zu handeln, denn im Hintergrund ließ sich ein weihnachtlich geschmückter Baum erkennen. Der Junge stand nicht allein auf der Bühne, und alle Kinder hielten eine brennende Kerze in den Händen. Es dauerte vielleicht vier, fünf Sekunden. Und dann plötzlich: Das bin ja ich.
    In diesem Moment, beim Anblick des Jungen, der nichtsahnend dort stand und sang, hat alles begonnen. Ich sah mich selbst, wie ich mehrere Sekunden in mein eigenes Gesicht starrte, ohne dass ich erkannt hätte, um wen es sich handelte. Es ist schwer zu erklären, aber es berührte mich sehr. Als würde ich verstehen oder vielleicht auch nicht verstehen, dass ich dort stand. Und dass es auf ein und dasselbe hinauslief. Ich weiß es nicht. Aber in diesem Momen t – wie eine Erweiterung dieses Anblick s – tauchte die Geschichte der Brände wieder auf. Dieses Foto von mir, mit einer dünnen, ruhigen Flamme, die sozusagen aus meiner Hand aufstieg, führte dazu, dass ich mich an einem Sommerabend Anfang Juni entschloss, den Versuch zu wagen, die Geschichte der Brände aufzuschreiben. Ich hatte das Gefühl, tief durchzuatmen.
    Und dann.

III
    Als es zum ersten Mal Anfang Mai 1978 in Finsland brannte, war ich noch keine zwei Monate alt. Einige Tage nach meiner Geburt holte mein Vater mich und meine Mutter in der Geburtsklinik ab, die in der Kongens gate in Kristiansand lag. Ich wurde in eine dunkelblaue Reisetasche gelegt und die vier Meilen nach Finsland gefahren, und als ich das erste Mal vom Auto in das Haus in Kleveland getragen wurde, tobte ein gewaltiger Schneesturm, der sich erst zwei Tage später legen sollte. Es folgten Sonnenschein und stille, weiße Wintertage, bis der Wind auf Südwest drehte und der Frühling kam. Ende April lag an schattigen Stellen noch Schnee, doch die Wärme ließ sich nicht mehr vertreiben, und am 6 . Mai, dem Tag, an dem alles begann, war es im Wald bereits gefährlich trocken.
    Vier Wochen später, am 5 . Juni genau vor Mitternacht, war alles vorbei. Nach dem zehnten Brand und dem Tag nach meiner Taufe, die am dritten Sonntag nach Pfingsten stattfand. Es hatten bereits einige Zeit warme, schwüle Temperaturen geherrscht, doch dieser Sonntag war einer der heißesten Tage seit langem. Die Hitze vibrierte und flimmerte über den Hausdächern, und der Asphalt auf der Ebene von Lauvslandsmoen und Brandsvoll wellte sich. Am Nachmittag ging ein heftiger Regenschauer nieder und die Welt zeigte sich sofort frisch und neu. Dann klarte es auf, die Insekten schwirrten in der Luft, und es wurde ein warmer, ruhiger Abend.
    Es war der Abend vor der schlimmsten Nacht von allen.
    Die Geschichte der Brände flocht sich also ein in die allerersten Monate meines Lebens und gipfelte in der Nacht nach meiner Taufe.
    Es war übrigens keineswegs sicher, dass an diesem Sonntag eine Taufe stattfinden konnte. In der Nacht zuvor, sieben Minuten nach Mitternacht, wurde ein schwarzes Auto mit großer Geschwindigkeit auf der Straße zur Kirche beobachtet. Zu diesem Zeitpunkt
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