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Bevor ich verbrenne

Bevor ich verbrenne

Titel: Bevor ich verbrenne
Autoren: Gaute Heivoll
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dabei bewegten sich ihre Lippen. Doch dann knallte es plötzlich laut und scharf direkt hinter ihrem Rücken, es reichte, um sie alles andere vergessen zu lassen, sie kam auf die Beine und verließ rückwärts den Raum. Sie war wieder zu sich gekommen, die Rauchgestalt war verschwunden; stattdessen war das Zimmer voller Qualm, das Atmen fiel ihr schwer. Sie riss die Tasche an sich und trat auf den Flur des Dachgeschosses. In einem dichten beißenden Vorhang aus Rauch, der im ganzen Gesicht brannte, lief sie die Treppe hinunter. Sie vermutete, dass sämtliche Kleider in der Dachkammer bereits schwelten und bald in Flammen stehen würden. Ihr Hals schnürte sich zusammen, sie hatte das Gefühl, sich übergeben zu müssen, es schwindelte ihr, doch sie wusste genau, wie sie gehen musste, um die Haustür zu erreichen. Die letzten Meter tastete sie sich blind voran, aber diesen Weg war sie schon so oft gegangen, problemlos fand sie die Tür, und als sie auf der Außentreppe stand, hatte sie das Gefühl, die Hitze würde ihr in den Rücken stoßen und sie mehrere Meter vom Haus fortschubsen. Sie sog die frische, reine Nachtluft in ihre Lungen und sank auf die Knie. Ich habe sie vor mir gesehen, im Gras kniend, während das Licht sich um sie herum veränderte: von gelb zu fast weiß, über orange beinahe zu rot. Mehrere Sekunden saß sie so da, das Gesicht dem Gras zugewandt, während sie sich allmählich erholte. Schließlich kam sie langsam auf die Beine, aber sie sah weder Olav noch irgendjemand anderen. Sie lief den Hang hinauf zum Nachbarhaus, das der Brand taghell erleuchtete. Sie brauchte nicht zu klopfen, der Nachbar kam bereits die Treppe hinuntergestürmt. Odd Syvertsen. Ihn hatte das Licht geweckt. Sie griff seinen Arm, hielt ihn regelrecht fes t – oder stützte sich, um nicht umzusinken. Sie konnte nur noch flüstern, aber er hörte jedes Wort.
    »Ich kann Olav nicht finden.«
    Odd Syvertsen rannte zunächst zurück ins Haus, um zu telefonieren, während Johanna den Hang zur Straße hinablief. Das ganze Haus brannte nun lichterloh. Ständig waren laute, knisternde Schläge zu hören, die als Echo über dem Livannet und in den Höhenzügen im Westen widerhallten. Es klang, als würde der Himmel zerreißen. Die Flammen glichen großen wilden Vögeln, die sich um-, über- und ineinander wanden, sie wollten sich von einander losreißen, ohne dass es ihnen gelang. Der Brand war innerhalb weniger Minuten groß und mächtig geworden. Und doch war um sie herum alles merkwürdig still. Ich habe es vor mir gesehen. Ein Haus, das nachts brennt. Es sind die ersten Minuten, bevor andere Leute dazukommen. Ringsum ist alles still. Es gibt nur das Feuer. Das Haus steht allein und niemand ist in der Lage, es zu retten. Es ist sich selbst und seiner eigenen Zerstörung überlassen. Die Flammen und der Rauch, sie werden direkt in den Himmel gezogen, das Knistern und Knallen, wie Antworten von einem weit entfernten Ort. Es ist erschreckend, es ist fürchterlich, und es ist unbegreiflich.
    Und es ist beinahe schön.
    Johanna rief nach Olav. Zunächst einmal, dann zweimal, dann viermal. Mit einem Mal hörte es sich unheimlich an, die eigene Stimme in dem Geräusch der Flammen zu hören. Die Bäume schienen dem Haus noch näher gekommen zu sein. Sie streckten die Äste aus. Fasziniert, starr vor Entsetzen. Johanna lief zur Scheune, die Schmerzen hackten ihr in den Unterbauch. Ein Gefühl, als wäre in ihr ein großes Geschwür geplatzt, aus dem das Blut heiß herausfloss. Olav stand zwischen Wohnhaus und Scheune, als hielte ihn das intensive Licht in Bann. Obwohl kein Wind wehte und er vollkommen regungslos dastand, flatterte das Nachthemd um seinen Körper. Als sie näherkam, bemerkte sie, dass der Wind wie ein unheilverkündender Luftzug vom Brand selbst herrührt e – ein Wind, der eiskalt und zugleich unerträglich heiß war. Sie zog ihn mit sich, und gemeinsam erreichten sie wieder die Straße und standen dort eng beieinander, als Odd Syvertsen den Hang hinuntergerannt kam. Er war außer Atem und aufgewühlt, als er sich neben die beiden Alten stellte. Er versuchte, sie aus der gewaltigen Hitze zu führen, aber es gelang ihm nicht. Sie wollten stehen bleiben und zusehen, wie ihr Haus niederbrannte. Niemand brachte ein Wort heraus. Olav war wie versteinert und wirkte in seinem Nachthemd gleichzeitig weich und nachgiebig; der weiße Stoff legte sich kühlend über seine Schultern und Arme. Die Gesichter waren hell, klar und rein,
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