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Bevor ich verbrenne

Bevor ich verbrenne

Titel: Bevor ich verbrenne
Autoren: Gaute Heivoll
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und mit dem er so verbunden war. Der Ort, in dem er unmöglich bleiben konnte. Er saß da und starrte auf die großen und kleinen Straßen, die sich durch die Wälder schlängelten. All diese Straßen, die er so gut kannte, die es ihm immer wieder ermöglicht hatten, in diesem Frühsommer vor siebenundzwanzig Jahren nicht gefasst zu werden. Er sah die weißen Häuser und die rot gestrichenen Scheunen. Er sah die Brandwache, fast versteckt zwischen den Bäumen, er sah Sløgedals Haus, Teresas Haus und das Haus von Else und Alfred, er sah das Herrenhaus und das alte Bethaus von Brandsvoll, das nicht länger als Bethaus genutzt wurde, sondern als Schuppen. Und er sah das Haus in Skinnsnes, das eigentlich ganz für sich stand. Dies alles sah er. Aber er sah keine Menschen.
    Er starb knapp zwei Jahre später, im Frühjahr 2007, neunundzwanzig Jahre nach den Bränden. Er lag allein im Bett, und die Hauptschlagader im Bauch platzte. Wie Tinte floss ihm das Blut in den Körper. Vermutlich geschah es vollkommen schmerzfrei, beinahe so, als würde man schlafen, hinübergleiten, fortbleiben. Der Abend und der Schlaf kamen, und sie kamen wie ein Freund.
    Ich sitze auf dem Dachboden der ehemaligen Bank und sehe über den Livannet. Ich habe den Schreibtisch ein wenig in den Raum gezogen, auf diese Weise sehe ich auch den freien Himmel und das Wasser unter mir, es verschafft mir das Gefühl, auf der Brücke eines Schiffs zu sitzen. Ich sehe die Wolken vom Meer her treiben, die Birken schwanken im Wind, und die Schatten zucken über die Wand wie früher. Es ist Frühjahr. Ich bin bald fertig, es gibt nichts mehr zu schreiben. Ich stehe auf, gehe ans Fenster und lege die Hand auf die Scheibe.
    Nun denn.
    Teresa schreibt über ein Ereignis aus dem letzten Sommer, in dem Alma lebte. Sie waren ja noch immer Nachbarn, und vom Küchenfenster aus konnte sie sehen, wie Ingemann Alma in die Morgensonne auf die Veranda schob. Dort saß sie den ganzen Vormittag, normalerweise ganz allein, bis sie schließlich vom Schatten des Hauses eingeholt wurde, dann schob er sie wieder ins Haus. Eines Tages hatte Teresa Alma plötzlich auf der Straße entdeckt, ziemlich weit draußen auf der Ebene. Sie wurde von einem jungen Mann geschoben, und erst als sie näher kamen, sah sie, um wen es sich handelte. Er ging hinter dem Rollstuhl und schob. Zu diesem Zeitpunkt wusste sie nicht, dass man ihn aus Eg entlassen hatte. Es war das letzte Mal, dass sie die beiden zusammen sah. Es sah nicht so aus, als hätten sie sich etwas zu sagen, beide hatten den Blick stur geradeaus gerichtet, sie warfen zwei unförmige Schatten, die bald ineinander glitten. Die ganze Geschichte ist geschrieben wie ein Brief. Datiert auf den 23 . Mai 1998. Zehn Tage später starb Alma, sie wurde ohne ihre Beine in den Sarg gelegt. Ich weiß nicht, wem Teresa geschrieben hat, aber der Brief wurde niemals abgeschickt. Er lag ordentlich zusammengefaltet in einem Umschlag ohne Adresse. Er beginnt so: Mein Lieber, lass mich dies aufschreiben, bevor ich verbrenne.

Impressum
    Das ist die vollständige E-Book-Ausgabe des im Jahr 2012 im Verlag Schöffling & Co. erschienenen Buchs.

2012
© Schöffling & Co. Verlagsbuchhandlung GmbH,
Frankfurt am Main 2012
Alle Rechte vorbehalten
Umschlagfoto: © Jellymountain
E-Book-Konvertierung: Fotosatz Amann, Aichstetten
ISBN 978-3-89561-969-4

    www.schoeffling.de

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Kurzbeschreibung
    In der Nähe von Kristiansand geht ein Pyromane um. Einen ganzen Monat hat er nachts heimlich gewütet, Scheunen und zum Schluss sogar bewohnte Gebäude bis auf die Grundmauern niedergebrannt. In der kleinen Gemeinde wächst die Panik. Endlich greift die Polizei ein. Der Pyromane muss gefasst werden, aber es gibt nur wenige Spuren.
    Am Sonntag, den 4 . Juni 1978, als das erste Haus brennt, wird in der Kirche von Finsland ein Junge getauft. Dieser Junge ist niemand anderer als Gaute Heivoll selbst. Der Autor begibt sich auf die Suche danach, wie sein eigenes Leben mit den dramatischsten Brandstiftungen in der Geschichte Norwegens zusammenhängt. Wer war der junge Mann, der die ruhige Gegend in ein Flammenmeer verwandelte? Warum hat er es getan? Und was verbindet ihn mit dem Jungen, der in jenem Sommer zur Welt kam?
    Mit leiser Dramatik, die unter die Haut geht, zeichnet Gaute Heivoll das eindringliche Portrait eines Getriebenen und fragt, wie viel Gewalt in jedem von uns
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