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Bevor ich verbrenne

Bevor ich verbrenne

Titel: Bevor ich verbrenne
Autoren: Gaute Heivoll
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die Felsen unter Wasser geblickt hatte. Auf denen man plötzlich stehen konnte. Dort hatte sie gestanden und eine unsagbare Lust gehabt, schwimmen zu gehen, doch dann war sie durch irgendetwas daran gehindert worden und aufgewacht. Sie hatte den Arzt gebeten, zurückkehren zu dürfen. Da hatte er gelächelt und gesagt, dass diese Art von Hilfe in einem Krankenhaus nicht gewährt würde.
    Ich hatte das Gefühl, als hätte ihr die Musik an diesem Abend in Prag ein paar zusätzliche Tage geschenkt. Weil ich dort saß und zuhörte.
    Noch ein bisschen. Noch ein bisschen. Noch ein bisschen.
    Dann plötzlich eine neue Blutung.
    Es war der 4 . Februar 2004.
    Am größten ist die Liebe . Diesen Satz aus den Paulusbriefen wollte sie auf dem Grabstein, als Großvater starb. Ich erinnere mich genau, als sie sagte, was darauf stehen sollte, obwohl ich damals erst zehn Jahre alt war. Ich stand zufällig in ihrer Küche, als sie es Vater mitteilte. Es muss mich beeindruckt haben, dass ich mich noch immer daran erinnern kann. Ich tat so, als würde ich nicht verstehen, worum es ging. Aber ich verstand es. Sie meinte, dies sei der einzige Satz, der zu dem Stein passte, dieser Satz sei das Einzige, mit dem sich beschreiben ließ, was sie fühlte. Und dieser Satz blieb stehen, auch unter ihrem Namen.
    Sie hat ihn auch in ihr Tagebuch geschrieben. Plötzlich, im Dezember 1988, am 15., einen guten Monat nach seinem Tod. Nachts hatte es geschneit, dann hatte es aufgeklart und war klirrend kalt geworden.
    Am größten ist die Liebe.

Epilog
    E s geschah an einem Sonntag im August 2005. Ich hielt mich eine Weile daheim in Finsland auf, um eine größere Schreibarbeit zu beenden. Es ging um den Roman über Friedrich Jürgenson, dem Mann, der versuchte, die Stimmen der Toten zu deuten.
    An genau diesem Sonntagnachmittag entschied ich mich, einen langen Spaziergang zu unternehmen, um einen klaren Kopf zu bekommen. Ich war allein im Haus in Kleveland, schloss ab und ging die Straße hinunter. Ich ging zur Landstraße und weiter bis zur Schule. Als ich am Haus von Aasta vorbeikam, sah ich einen Hubschrauber, der in geringer Höhe über der Kiefernheide hinter der Schule schwebte, einen großen Bogen flog, vorsichtig niederging und auf dem Sportplatz von Lauvslandsmoen landete. In mein Schreiben vertieft, hatte ich nicht mitbekommen, dass an diesem Sonntag ein Hubschrauberflug über der Gegend möglich war. Es hing mit den Finslandstagen zusammen, die jedes Jahr mehrere tausend Menschen mit einer Mischung aus Tierschau, Flohmarkt und Rummel anzogen. Und über all dem schwebte also dieser Hubschrauber. Als ich mich dem Sportplatz näherte, hatte ich mich bereits entschlossen. Der Hubschrauber stand dort wie ein großes, ein wenig trauriges Insekt, die Rotorblätter hingen träge herab. Ich war überrascht, denn wider Erwarten gab es keine Schlange. Der Hubschrauber stand dort seltsam allein, der Pilot war herausgeklettert und unterhielt sich mit einem Mann, auch er war allein. Wie sich herausstellte, wollten sie zum letzten Flug des Tages aufbrechen, aber es waren mindestens zwei Passagiere notwendig. Als ich kam, war die Mindestzahl erreicht. Ich setzte mich nach vorn, der andere Mann hinter mich. Ich bemerkte, dass er eine rote Jacke trug, die knisterte, als er sich auf dem schmalen Sitz zurechtsetzte, und ich spürte, wie seine Knie gegen die Rückenlehne meines Sitzes stießen. Ich setzte mir den Kopfhörer auf, die Tür wurde von einem Assistenten am Boden sachgerecht geschlossen, ich legte den Sicherheitsgurt an, der sich kreuzweise über die Brust zog, dann wurde der Motor gestartet. Plötzlich roch es durchdringend nach Treibstoff und ich schaute den Piloten ein wenig ängstlich an. Sofort hörte ich seine beruhigende Stimme im Kopfhörer. Die Rotorblätter flappten ständig schneller über uns, der Motor heulte, der Pilot berührte behutsam den Steuerknüppel, dann bewegte sich der Hubschrauber, rüttelte sich vorsichtig vom Boden, und wir stiegen problemlos und leicht in die Luft. Alles war so schnell gegangen: Eben hatte ich noch in mein Schreiben vertieft zu Hause gesessen, dann hatte ich mich entschlossen, vor die Tür zu gehen, und den Hubschrauber entdeckt. Und nun schoss ich nach vorn, vierzig, sechzig, achtzig Meter über dem Erdboden, erst über das alte Schulgebäude, in dem ich einige Jahre später das Foto von mir finden sollte, dann über die Bibliothek, an der die Straße sich in vier Richtungen teilte, über Autos und
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