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Bevor ich verbrenne

Bevor ich verbrenne

Titel: Bevor ich verbrenne
Autoren: Gaute Heivoll
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Menschen, über das Haus von Aasta, und schließlich über hohe Bäume mit langen festgefrorenen Schatten. Ich war siebenundzwanzig Jahre alt, und zum ersten Mal sah ich das alles aus der Luft. Ich saß in einer Glasglocke, die Erde war dort unten, direkt unter meinen Schuhen, um mich herum herrschte gewaltiger Lärm, aber im Kopfhörer hörte ich die Stimme des Piloten, sanft und angenehm. Er fragte, wohin ich wollte, und ich wies in Richtung Kleveland. Wir flogen eine Kurve, die mich einen Moment schwerelos im Sicherheitsgurt hängen ließ, wieder sausten wir über die Schule, über die Landesstraße, und dann waren wir plötzlich über dem Haus, das ich kannte und doch so noch nie gesehen hatte. Wir stiegen höher und ich konnte sehr weit sehen. Wir flogen über den Fluss Mandalselva und ich sah die Seen, den Manflåvannet im Norden und den Øydnavannet im Nordwesten. Erneut flogen wir eine große Kurve, in der ich wieder im Sicherheitsgurt hing und mir das Herz im Halse schlug. Dann waren wir über Laudal. Ich sah die Kirche unter meinem rechten Schuh. Dort unten lagen meine Urgroßeltern, Danjell und Ingeborg, von denen ich lediglich eine Handvoll Bilder besaß, unter anderem ein Jagdfoto, auf dem Danjell einen toten Hasen an den Hinterbeinen hochhält, als würde der gerade zu einem gewaltigen Sprung ansetzen. Wir bogen nach Osten und waren sofort über dem Hessvannet und Hundershei, irgendwo dort unten hatte Vater damals den Elch geschossen. Dann sahen wir Lauvsland und die Spitze der Sprungschanze von Stubrokka, von der Vater irgendwann in den Sechzigern gesprungen war. Wir flogen direkt über das Haus und die Scheune von Olga Dynestøl, längst wohnten dort Leute, die ich nicht kannte. Wir schlugen einen Bogen in Richtung Norden, und sofort sah ich links unten die Kirche. Ich sah die beiden Friedhöfe, von denen der eine sich wie ein Diadem rund um die Kirche zog, dort lagen meine Großeltern und viele andere von denen, die vier Jahre später in Mantua auftauchen sollten. Ein Stück von der Kirche entfernt lag der zweite, streng rechteckig angelegte Friedhof, auf dem Kåre und Vater lagen, obwohl ich damals nur von einem von ihnen wusste.
    Ungefähr in diesem Moment drehte ich mich um und blickte kurz auf den Mann, der hinter mir saß. Es dauerte einen Moment. Und dann:
    Das ist ja er.
    Wieder stiegen wir steil in die Höhe. Ich sah den Wald und all die verstreut liegenden Seen. Wie ein federleichtes Stück Seide spannte sich ein Regenbogen bis tief ins Land hinein. Ich sah den Gardvannet und den Kveddansvannet, glänzend wie flüssiges Zinn. Ich sah den Stomnevannet, den Sognevannet. Ich sah den Livannet, den Trælevannet und den Homevannet, zwischen dessen Kiefernufern sich der Himmel spiegelte. Und die ganze Zeit sagte ich mir: Das ist doch er. Das ist doch der Pyromane. Wir schwangen uns in die Luft über Dynestøl, es wurde eine lange Kurve, und ich hatte das Gefühl, seitlich ausgestreckt in der Luft zu liegen. Schließlich flogen wir über den Bordvannet, während wir zum Sportplatz hinabsanken. Und dann hatte ich endlich wieder festen Boden unter den Füßen und spürte das Gewicht meines eigenen Körpers.
    Er hatte völlig stumm hinter mir gesessen, und ich sah, wie er über den Sportplatz davonging, an allen parkenden Autos vorbei. Nachdem man ihn in Eg entlassen hatte, war er wieder in den Ort gezogen und wohnte dort viele Jahre in meiner Kindheit und Jugend. Alle wussten, wer der Pyromane war, auch ich. Ich hatte ihn nur nicht gleich wiedererkannt.
    Näher bin ich ihm niemals gekommen. Es gab den Hubschrauberflug und den Brief an Alfred, der folgendermaßen lautete:
    Kristiansand, 12 . Juni 1978

Mein Lieber,
dies ist sicher der erste Brief, den Du von einem Pyromanen bekommst. Du musst selbst entscheiden, ob Du mich für einen Betrüger hältst, ich hoffe aber, es ist nicht so. Ungeachtet dessen muss ich damit rechnen, noch eine Weile im Gefängnis zu bleiben. Dass ich der Polizei gegenüber die Karten auf den Tisch gelegt habe, dass ich bisher nicht vorbestraft bin und während der Verhöre Wohlverhalten gezeigt habe, trägt hoffentlich dazu bei, die Strafe zur reduzieren. Ich erinnere mich auch nicht an alles, was letzte Nacht geschehen ist. Es ist wie ein Nebel. Aber all das weißt Du ja. Ich hörte, dass Du Dir gedacht hast, mich zu besuchen, und ich würde mich sehr freuen, wenn Du es tätest. Wenn ich auch nicht unbedingt einsam bin, so vergeht die Zeit doch langsam, wenn man niemanden zum
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