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Bevor ich verbrenne

Bevor ich verbrenne

Titel: Bevor ich verbrenne
Autoren: Gaute Heivoll
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gefiel, von jemandem, von dem ich den Eindruck hatte, er wäre nett und würde sich über ein paar Worte freuen. Ich hätte einen Gruß schreiben und abschicken können. Ich sah es vor mir, wie sie die Karte bekamen und lange auf das Foto starrten, sie sahen den kräftigen Mann, der mein Großvater gewesen war, und lasen die Worte, die ich geschrieben hatt e – und dann breitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus.
    In den Tagebüchern finde ich eine Reihe von Fotos, die ich bisher nicht kannte, sie sind zwischen die Seiten gesteckt, als hätten sie eine besondere Bedeutung. Auf einem steht Großvater auf den unter Wasser liegenden Felsen, ungefähr in der Mitte des Homevannet. Man muss selbst hinausgeschwommen sein, um genau zu wissen, wo sie sind. Die Stelle liegt vielleicht dreißig Meter vom Ufer entfernt. Plötzlich kann man stehen. Auf dem Foto sieht es aus, als würde er auf dem Wasser gehen. Auf dem anderen Bild steht Großmutter an genau der gleichen Stelle. Erst ist er allein hinausgeschwommen und hat sich aufgestellt, während sie an Land wartete und fotografierte, dann schwamm sie hinaus und er zurück. Vielleicht war es aber auch umgekehrt? Er hat bereits schlohweißes Haar und sieht vor dem dunklen Wald im Hintergrund mager und knochig aus; und sie trägt den schwarzen Badeanzug, an den ich mich noch erinnern kann. Sie müssen sich über ihren Einfall amüsiert haben, bestimmt haben sie sich gefreut, als die Fotos entwickelt waren. Damals dürften sie Mitte sechzig gewesen sein, das heißt, die Fotos sind ungefähr 1980 entstanden. Beide gingen sehr gern schwimmen.
    Ich lese mich weiter durch die Zeit, durch Frühling, Sommer und Herbst 1998, und zwei Tage nach Vaters Begräbnis hält sie fest:
    Regen und starker Wind. Gaute war heute Abend hier, es war sehr schön.
    Mehr nicht. Das war der Abend, an dem ich ihr erzählte, dass ich schreiben würde.
    Noch weiter, gegen Ende ihres Lebens. Die allerletzte Notiz, Dienstag, 28 . Oktober 2003:
    Ich bekam eine Spritze. Schönes Wetter, mild.
    Ich sitze hier mit dem schwarzen, ruhigen Livannet vor mir und erinnere mich an die allerletzten Wochen und Tage.
    Ich war damals in Prag, es war ein Abend Ende Januar 2004, und ich saß in einer Kirche mitten in der Stadt. Ich entsinne mich nicht mehr, wie die Kirche hieß. Ich war zufällig vorbeigegangen und hatte ein kleines Schild gesehen, auf dem ein Konzert angekündigt wurde. Ich hatte mich ganz spontan entschlossen, eine Eintrittskarte an einem kleinen Fenster am Eingang gekauft, war hineingegangen und hatte mir einen Platz gesucht. Es war früher Abend. Draußen zogen die Menschen ihre Mäntel enger um sich, es herrschte fünfzehn Grad Frost, und ein leichtes, glitzerndes Schneetreiben erfüllte den leuchtenden Himmel über dem Platz, der Altstadt und dem dominanten Rathaus mit der astronomischen Uhr, an der ich gerade vorbeigekommen war. Der Organist spielte eine Orgelfantasie über das Ave Maria . Möglicherweise Gounods Version? Wie sie Teresa und Bjarne Sløgedal in der Kirche von Finsland zur ersten Friedensweihnacht 1945 aufgeführt hatten? Ich weiß es nicht. Und doch war es eine Musik, die mich mit einer besonderen Stille erfüllte.
    Zu diesem Zeitpunkt hatte man Großmutter ins Krankenhaus von Sørlandet eingeliefert. Einige Stunden vorher war ihr ein Instrument aus Leichtmetall, eine so genannte Stanzzange, durch die Luftröhre eingeführt worden, um eine Gewebeprobe ihrer Lungen zu entnehmen. Es handelte sich um einen gewöhnlichen Eingriff. Vorab wurde in einer der Bronchien eine Ausbuchtung festgestellt, die man für eine Gewebeveränderung gehalten hatte. Es zeigte sich allerdings, dass es sich um die Hauptschlagader handelte. In Sekunden füllten sich ihre Lungen mit Blut.
    Ich hatte mich nie darauf vorbereitet, dass sie einmal sterben würde. Damals nicht. Nicht, als ich in Prag saß und das ganze Kirchenschiff sich mit reiner Musik füllte, reiner Stille und Kälte. Sie konnte nicht sterben.
    Und ich behielt Recht.
    Es gelang, einen Weg zu der anderen Bronchie freizulegen, so dass sie Luft bekam. Sie erwachte und erzählte dem Arzt, der sich über sie beugte, wo sie gerade gewesen war: auf einem Sandstrand an einem großen Wasser. Als ich diese Geschichte hörte, dachte ich sofort, dass es sich um den Homevannet handeln müsse. Es lag für mich auf der Hand. Dass sie direkt unterhalb der Hütte des Automobilklubs von Kristiansand am Strand, dem öffentlichen Badeplatz, gestanden und auf
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