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Bevor ich verbrenne

Bevor ich verbrenne

Titel: Bevor ich verbrenne
Autoren: Gaute Heivoll
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Antworten die Flammen wieder hochlodern lassen. Wieder war er dort, wieder stand er allein in der Dunkelheit und sah, wie der Brand sich ausweitete. Es knisterte und ächzte und stieg in den Himmel, das Flammenmeer wogte und tief im Inneren der Flammen hörte man einen hohen, hellen Ton, eine Art von Gesang.
    Um halb zwölf machte das Gericht eine Pause.
    Alma und Ingemann, die sich die ganze Zeit über stumm und beinahe regungslos verhalten hatten, blieben sitzen, während der Journalist, der Staatsanwalt, der Verteidiger und die beiden Sachverständigen sich erhoben und auf dem Flur verschwanden. Auch Dag blieb sitzen. Einen kurzen Moment waren nur sie drei im Saal. Dag drehte sich um und lächelte. Ingemann saß vornüber gebeugt und schaute zu Boden.
    »Und wie geht’s zu Hause?«, fragte Dag.
    »Ja«, sagte Alma. »Es is t …«
    »Und du arbeitest wie früher in der Werkstatt, Papa?«
    Ingemann schaute unversehens auf.
    »Ja, sicher«, antwortete er. »Muss ich doch.«
    »Und du, Mama, staubst du noch immer meine Pokale ab?«
    Diesmal brachte sie keine Antwort heraus, sie lächelte nur. Es war ein breites, herzliches Lächeln, das nur sie ihm schenken und das nur er entgegennehmen konnte. Es dauerte mehrere Sekunden. Dann zerbrach es. Plötzlich fiel sie vornüber und schnappte nach Luft, als würde sie erwürgt. Ingemann griff ihr unter die Arme, der Gerichtsdiener kam ihm zu Hilfe. Dag stand auf, blieb aber an seinem Platz stehen und sah zu, wie seiner Mutter aus dem Saal geholfen wurde. Draußen hörte man sie schluchzen, unheimlich verstärkt und verzerrt durch den langen Korridor.
    Als das Gericht kurz nach zwölf wieder zusammentrat, saßen sie und Ingemann wieder an ihrem Platz. Sie ließen es sich nicht nehmen. Sie saß sogar noch aufrechter als zuvor. Sie schaute durch alles und alle hindurch, und was sie sah, darüber ließ sich weder reden, noch ließ es sich erklären.
    Dag wurde gebeten, sich zu erheben, als seine Personalien verlesen wurden. Dann wurde er gebeten, sich wieder zu setzen. Er lehnte sich ein wenig auf dem Stuhl zurück, als der Staatsanwalt einen kurzen Abriss seines Lebens lieferte. Geboren 1957. Aufgewachsen in den Sechzigern und frühen Siebzigern. Ein netter, hilfsbereiter Junge. Gut in der Schule. Von allen ein guter Leumund. Keinerlei Verfehlungen auf der militärischen Stammrolle. Kurz gesagt: Ein Junge, der die Zukunft vor sich hatte.
    Und dann.
    Das Urteil fiel am Montag, den 12 . März. Am Tag, bevor ich ein Jahr alt wurde. Es war ein kalter Märztag mit Wind aus nordöstlicher Richtung. Der Gerichtssaal war derselbe, in dem einen Monat zuvor der Fall verhandelt worden war, doch diesmal waren weder Alma noch Ingemann anwesend. Alma hatte ihm einige Tage zuvor einen neuen warmen Wollpullover geschickt; er trug ihn, als er in den Gerichtssaal geführt wurde.
    Stadtgerichtspräsident Oug verlor keine Zeit, sondern begann mit der Urteilsverkündung, sobald er die Sitzung eröffnet hatte. Auch diesmal hörte Dag aufmerksam zu.
    Das Urteil enthielt keine Strafe und keine Entschädigungsforderung. Nur fünf Jahre Sicherheitsverwahrung.
    Dann war es vorbei. Es hatte nur wenige Minuten gedauert. Dag erhob sich und ging zusammen mit seinem Verteidiger und den beiden Pflegern der Psychiatrie aus Eg, die ihn begleiteten, auf den Korridor. War das alles? Keine Strafe? Kein Gefängnis? Keine Entschädigungen? Nichts. Nur fünf Jahre Sicherheitsverwahrung. Er fühlte sich geradezu aufgekratzt, als er über den frisch gebohnerten Fußboden des Tinghuset in den eiskalten Vormittag ging. Fünf Jahre. Was waren denn fünf Jahre? Er wäre doch erst siebenundzwanzig, wenn er wieder herauskam, und hätte das Leben noch immer vor sich. Es war fast zu schön, um wahr zu sein. Der Wagen, der ihn nach Eg zurückbringen sollte, stand glänzend weiß in der Sonne und wartete. Innerlich jubelnd ging er über ein paar Eispfützen darauf zu. Er hatte Lust zu singen oder Klavier zu spielen. Der einzige Wermutstropfen in seiner Freude bestand darin, dass weder Alma noch Ingemann dabei gewesen waren und gesehen hatten, wie ihr einziger Sohn verurteilt wurde.

III
    Wie hat eigentlich alles angefangen?
    Auf dem Dachboden der Schule von Lauvslandsmoen, als ich das Foto von mir entdeckte? Auf dem Platz in Mantua, als all die Toten erschienen, um mir zuzuhören? Oder war es lange davor?
    Vor mir liegt der Livannet, und ich sammele die Teile zusammen. Seit vier Tagen regnet es ununterbrochen. Dann kommt der
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