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Bevor ich verbrenne

Bevor ich verbrenne

Titel: Bevor ich verbrenne
Autoren: Gaute Heivoll
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aber im Laufe des Sommers hatte das Gras angefangen, durch die Asche zu sprießen. Im September riss Kasper den massiven Schornstein von Dynestøl ein, in Vatneli wurden die Grundmauern abgetragen und die Steine weggefahren, am Fuße des Leipslandskleiva standen die vier Ecksteine und bildeten ein perfektes Quadrat. Es wurde Winter. Im Januar starb Johanna. Sie war bis zuletzt ganz ruhig. Genau wie ihr Sohn. Einige Tage später begann es zu schneien, in der Nacht, als alle schliefen. Große ausgefranste Flocken fielen auf den Wald und die Häuser, weiß und still, bis in die Träume wirbelte der Schnee, und als man am nächsten Tag erwachte, hatte die Welt sich erneuert.

II
    Der Prozess begann am Montag, den 19 . Februar 1979. Der Richter, der Stadtgerichtspräsident Thor Oug, erschien einige Minuten vor neun im Gerichtssaal. Alle Beteiligten waren bereits auf ihren Plätzen: der Staatsanwalt und Leiter der Kriminalpolizei Håkon Skaugvoll, der Verteidiger Bjørn Moldenes, außerdem zwei psychiatrische Sachverständige: der Oberarzt Tor Sand Bakken vom Krankenhaus in Eg und der Assistenzoberarzt Karsten Nordahl von der Klinik für Nervenkrankheiten. Dag saß neben seinem Verteidiger. Er wirkte ruhig, fast ein bisschen munter. Mehrfach beugte er sich seinem Verteidiger zu, flüsterte ihm etwas ins Ohr, lehnte sich wieder auf dem Stuhl zurück, streckte die Arme in die Luft und lächelte vergnügt. Kurz bevor die Verhandlung begann, ging die Tür des Gerichtssaals auf. Herein kam eine Frau, die ungefähr sechzig Jahre alt sein mochte, sie war mit einem dunklen Mantel bekleidet, der vor winzigen Regentropfen glitzerte; ihr folgte ein etwas älterer Mann mit glatt gekämmten Haaren. Auch er war schwarz gekleidet und hielt einen zusammengeklappten Regenschirm in der Hand. Sie hatten es bis hierher geschafft. Alma blieb stehen, als sie den Saal betrat. Als müssten sich ihre Augen erst an das Licht gewöhnen. Sie ordnete ihre Haare und wischte die Regentropfen vom Mantel. Der Blick war fest, aber fern, als wäre sie eigentlich an einem anderen Ort. Sie schien durch die sieben Menschen hindurchzusehen, die im Saal saßen, sie sah sie und sah sie doch wieder nicht. Es lief vermutlich aufs Gleiche hinaus. Ingemann schüttelte den Schirm, dass das Wasser spritzte, er nickte dem Richter, dem Staatsanwalt und den Sachverständigen kurz zu, ohne zu wissen, um wen es sich bei ihnen handelte. Dann bedachte er Dag mit einem blassen Lächeln. Der Gerichtsdiener führte sie am Pult des Staatsanwalts vorbei, sie fanden einen Platz ganz hinten im Raum. Dort hatte man fürs Publikum Stühle aufgestellt, auf denen allerdings nur ein Beobachter des Fædrelandsvennen saß.
    Dann begann der Prozess.
    Der Staatsanwalt verlas die Anklagepunkte. Insgesamt zehn. Es dauerte ungefähr eine halbe Stunde, um alles zu benennen. Dag beobachtete die ganze Zeit aufmerksam den Staatsanwalt. Es schien, als höre er mit Interesse und auch ein wenig Neugier zu, als würde er endlich Klarheit über die Geschehnisse bekommen. Als der Staatsanwalt schließlich endete, sagte er, indem er sich zum ersten Mal direkt an Dag wandte: Da der Geisteszustand des Angeklagten tatsächlich als krank angesehen werden muss und er daher nicht verantwortlich ist für seine Handlungen, stelle ich Ihnen nicht die Schuldfrage, ich frage Sie nur, ob Sie all dies getan haben, was in der Anklageschrift steht.
    Die Antwort war ein kurzes Ja.
    Er konnte sich, mit kleinen Korrekturen, der Darstellung des Leiters der Kriminalpolizei anschließen.
    Er hatte es getan.
    Danach begann eine detaillierte Untersuchung der Brände. Dag wurde gebeten, sich zu erklären, sollten sich Unsicherheiten bei Detailfragen ergeben. Dies tat er bereitwillig. Ständig steuerte er Korrekturen und sachdienliche Hinweise bei, als würde es um jemand anderen gehen, als wäre er nur ein Zeuge. Auf diese Weise wurde nach und nach das gesamte Bild sichtbar. Im Laufe des Vormittags, an dem der Regen in Schneeregen und schließlich in schwere, nasse Flocken überging, wurden alle Brände so sorgfältig wie möglich beschrieben, vom Anreißen des Feuerzeugs bis zum vollständigen Abbrennen des Hauses. Oder von dem Moment an, als er den Benzinkanister aus der Feuerwache von Skinnsnes geholt hatte, bis zu dem Zeitpunkt, als er selbst Alarm schlug, sich in den Feuerwehrwagen setzte und Blaulicht und Sirene einschaltete. Alles schien noch einmal lebendig zu werden. Als würden sämtliche Fragen und die ausführlichen
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