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Bevor ich verbrenne

Bevor ich verbrenne

Titel: Bevor ich verbrenne
Autoren: Gaute Heivoll
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um nicht zu fallen; und es gab einen Mann mit Hut, der im ersten Moment wie Reinert Sløgedal aussah, der alte Glöckner, Lehrer und Vater von Bjarne Sløgedal, dem Domorganisten von Kristiansand.
    Schließlich stand auch Alfred dort und spritzte Wasser auf die abgebrannte Scheune der Sløgedals. Auch dies ein Bild voller Schlichtheit und Ruhe: ein einzelner, barhäuptiger Mann. Der Himmel über ihm. Ein heruntergebranntes Gebäude. Dünner, weißer Rauch, der sachte aufsteigt und vom Wind davongetragen wird. Der Wasserstrahl, der gegen die Mauer und die ausgebrannte Erde spritzt; Wasser, das mit einem plötzlich heftig sprudelnden Geräusch auf die verzogenen Dachsparren trifft.
    Es muss ein paar Stunden gedauert haben, bevor er die Nachricht überbrachte.
    Dann war der Beitrag vorbei, und der Bildschirm wurde schwarz.
    Ich spulte sofort zurück und sah mir alles noch einmal an. Und noch einmal. Als könnte ich nicht genug bekommen, als hoffte ich, mich selbst oder meinen Vater zu entdecken. Oder irgendwelche anderen Leute, die ich kannte. Das war ja durchaus nicht ausgeschlossen. Ich wusste doch, dass mein Vater in der Nacht, in der es gebrannt hat, vor dem Haus in Vatneli war. Und ich wusste genau, dass ich am Sonntag bei dem niedergebrannten Hof von Olga Dynestøl gewesen bin, direkt nach der Kindstaufe, obwohl ich die ganze Zeit in der Reisetasche gelegen und tief geschlafen habe.

V
    Im September legte ich mein Schreibzeug beiseite und reiste nach Italien, in die norditalienische Stadt Mantua, um dort an einem großen Literaturfestival teilzunehmen. Wie immer, wenn ich auf Reisen bin, war ich einigermaßen unruhig, aber damals wie heute kenne ich die Ursache dieser Unruhe nicht genau.
    Es war ein warmer Abend in Mantua, mit einem heftigen Fallwind, der vermutlich den weiten Weg aus der Sahara hinter sich hatte; und ich sollte auf der Piazza San Leonardo aus einem meiner Bücher lesen, einem kleinen Platz mitten in der Stadt. Ich verließ mein Hotel, das an der Piazza Don Leoni lag. Es war halb neun, ein Samstagabend mit einer Unmenge lächelnder Menschen. In den schmalen Gassen drängten sich die Leute, ich hörte Lachen und Musik, fühlte mich aber ziemlich allein. Ich ging über den Cors o V. Emanuele bis zur Piazza Vallotti. Dort bog ich links ab und überquerte einen Parkplatz, auf dem in einer langen Reihe Motorroller standen. Ich lief weiter durch ein paar enge Winkel, die keinen Namen hatten, jedenfalls sah ich kein Schild, bis zur Via Arrivabene, dann hatte ich den direkten Weg zum Platz vor der Steinkirche erreicht.
    Als ich ankam, war ich bereits nass geschwitzt. Eine ganze Menge Zuhörer hatten sich versammelt, denn es sollten mehrere Autoren lesen, sowohl vor als auch nach mir. Ich war nervös, wie immer, wenn ich eine Bühne betreten muss. Ich begrüßte meine Dolmetscherin, eine Frau Mitte fünfzig, die vor über dreißig Jahren in Stockholm gewohnt hatte, aber noch immer nahezu fließend Schwedisch sprach. Als ich schließlich an die Reihe kam, verschwand das Publikum im Dunkeln, während mir oben auf der Bühne ein kräftiges weißes Licht ins Gesicht schien. Noch immer war es quälend heiß, und der Wind wehte so heftig, dass das Mikrophon wie Donner dröhnte. Ich weiß nicht, ob es die Hitze oder der trockene Wüstenwind war, ob ich irgendetwas Falsches gegessen oder getrunken hatte oder es vielleicht an dem intensiven Licht lag, doch als ich vor dem Mikrophon stand, fühlte ich mich plötzlich unwohl. Innerhalb weniger Sekunden verlor ich jegliche Kraft. Die Arme waren wie gelähmt, meine Knie schienen einzuknicken. Ich hatte das Gefühl, ohnmächtig zu werden. Das Meer von Gesichtern fing an zu wogen. Es legte sich ein Schleier über die Augen. Es war wie an diesem eiskalten Nachmittag vor langer Zeit, als ich stolperte, mit dem Kopf auf das Eis des Bordvannet fiel und mich nach und nach meine Sinne verließen. Damals war ich liegen geblieben, hatte das kalte, harte Eis des Sees an meinem Hinterkopf und Rücken gespürt und gedacht, nun würde ich sterben. So soll ich also sterben, ging mir noch durch den Kopf, auf dem Rücken liegend, zehn Jahre alt, allein auf dem Bordvannet. Zuerst konnte ich nichts mehr sehen, langsam verblasste jegliche Farbe, der Wald verschwand, der bleiche Himmel über mir, alles, bis ich dort vollkommen blind lag; danach schrumpften sämtliche Geräusche, ich wurde ohnmächtig, während der Schnee noch immer leise auf mein Gesicht rieselte. Und als ich vor den
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