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Bevor ich sterbe

Bevor ich sterbe

Titel: Bevor ich sterbe
Autoren: J Downham
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hat, also muss er vielleicht was nachholen. Wir tun beide so, als könnte er nichts dran machen, wie bei einem Nasenbluten, das nichts damit zu tun hat, wie er sich vielleicht fühlt. Ich ziehe ihn dicht an mich und umarme ihn. Er schluchzt in meine Schulter, seine Tränen sickern durch meinen Schlafanzug. Ich möchte sie auflecken. Seine echten, echten Tränen.
    »Ich hab dich lieb, Cal.«
    Es ist einfach. Obwohl er davon zehnmal schlimmer weinen muss, bin ich doch richtig froh, dass ich mich überwunden habe.
    Nummer dreizehn: meinen Bruder umarmt halten, während sich die Abenddämmerung aufs Fensterbrett senkt.

    Adam steigt ins Bett. Er zieht sich das Federbett dicht unters Kinn, so als wäre ihm kalt oder er hätte Angst, die Zimmerdecke könnte ihm auf den Kopf fallen.
    Er sagt: »Morgen wird dein Dad eine Klappliege kaufen und sie da auf dem Boden für mich aufstellen.«
    »Schläfst du dann nicht mehr bei mir im Bett?«
    »Vielleicht möchtest du es nicht, Tess. Vielleicht willst du nicht mehr in meinem Arm liegen.«
    »Und wenn doch?«
    »Dann halte ich dich natürlich.«
    Aber er hat eine Heidenangst. Ich sehe es in seinen Augen.
    »Schon gut, ich lass dich raus.«
    »Scht.«
    »Nein, echt. Ich geb dich frei.«
    »Ich will nicht frei sein.« Er beugt sich zu mir rüber und küsst mich. »Weck mich, wenn du mich brauchst.«
    Er schläft rasch ein. Ich liege wach und horche, wie in der ganzen Stadt die Lichter ausgeknipst werden. Gutenachtgeflüster. Das schläfrige Quietschen von Bettfedern.
    Ich finde Adams Hand und halte sie fest.
    Ich bin froh, dass es Nachtportiers und Krankenschwestern und Fernfahrer gibt. Für mich ist es ein Trost, dass in anderen Ländern in anderen Zeitzonen Frauen gerade Kleider im Fluss waschen und Kinder im Gänsemarsch zur Schule gehen. Irgendwo auf der Welt lauscht ein Junge gerade dem fröhlichen Gebimmel eines Ziegenglöckchens, während er einen Berg hinaufsteigt. Darüber bin ich sehr froh.

NEUNUNDDREISSIG
    Z oey näht. Ich wusste gar nicht, dass sie das kann. Über ihren Schoß hat sie einen zitronengelben Strampelanzug gebreitet. Mit einem zusammengekniffenen Auge fädelt sie den Faden ein, steckt ihn durchs Nadelöhr und zurrt zwischen angefeuchteten Fingern den Knoten zu. Wer hat ihr das beigebracht? Minutenlang sehe ich ihr zu, und sie näht, als wäre es schon immer so gewesen. Sie hat das blonde Haar aufgesteckt, beugt den Hals in einer sanft geschwungenen Linie. Vor Konzentration beißt sie sich auf die Unterlippe.
    »Du sollst leben«, sage ich ihr. »Du wirst doch leben, oder?«
    Sie schaut plötzlich auf und saugt hellrotes Blut von ihrem Finger. »Scheiße!«, sagt sie. »Ich hab nicht gewusst, dass du wach bist.«
    Ich muss kichern. »Du siehst aus wie das blühende Leben.«
    »Ich bin fett!« Sie stemmt sich aus dem Sitzen hoch und reckt mir zum Beweis ihren Bauch entgegen. »Ich bin so mächtig wie ein Bär.«
     
    Ich wär so gern das Baby tief in ihr drin. Und klein und gesund.

ANWEISUNGEN FÜR ZOEY
    Sag deiner Tochter nicht, dass die Erde verrottet. Zeig ihr Schönes. Sei ihr eine Riesin, auch wenn deine Eltern das für dich nicht sein konnten. Und lass dich ja nie mit einem Typen ein, der dich nicht liebt.
    »Glaubst du, dir wird dein früheres Leben fehlen, wenn das Baby da ist?«
    Zoey sieht mich sehr ernst an. »Du solltest dich anziehen. Es ist nicht gut für dich, den ganzen Tag im Schlafanzug rumzusitzen.«
    Ich lehne mich in die Kissen zurück und schaue in die Zimmerecken. Als Kind wollte ich immer an der Decke wohnen – die sah so sauber und leergeräumt aus, wie die Deckplatte einer Torte. Jetzt erinnert sie mich bloß an Bettlaken.
    »Ich hab das Gefühl, ich lass dich im Stich. Ich komm nicht mehr als Babysitterin oder so in Frage.«
    Zoey sagt: »Es ist richtig schön draußen. Soll ich Adam oder deinen Dad bitten, dich rauszutragen?«
     
     
    Vögel veranstalten Zweikämpfe auf dem Rasen. Fransige Wolken umrahmen den blauen Himmel. Dieser Liegestuhl ist so warm, als hätte er seit Stunden Sonnenschein in sich aufgesogen.
    Zoey liest eine Zeitschrift. Adam streichelt meine Füße durch meine Socken.
    »Hör dir das an«, sagt Zoey. »Das ist der Sieger aus dem Wettbewerb um den lustigsten Witz des Jahres.«
    Nummer vierzehn: ein Witz.
    »Eine Frau geht zum Arzt und sagt: ›Immer wenn ich Kaffee trinke, habe ich so ein Pieksen im Auge.‹ Sagt der Arzt: ›Vielleicht sollten Sie den Löffel aus der Tasse nehmen.‹«
    Ich schütte mich
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